„Ein tiefes Bedürfnis“

von Redaktion

Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter ist neue Präsidentin der Deutschen Krebshilfe

VON MARKUS THIEL

Es ist nicht eigene Krankheitserfahrung, die sie für das Amt mitbringt, wohl aber das Erlebnis einer familiären Katastrophe. Detlef Wunderlich, Münchner Rechtsanwalt und erster Ehemann von Anne-Sophie Mutter, starb 1995 an Lungenkrebs. „Das hat mein Leben auf den Kopf gestellt und die Notwendigkeit, mich zu engagieren, befeuert“, sagte sie gestern über diese Zeit – und das nicht nur als weltweit gefeierte Geigerin, sondern auch ausgestattet mit einer weiteren Aufgabe: Anne-Sophie Mutter ist neue Präsidentin der Deutschen Krebshilfe. „Das wunderbare Amt ist mir ein tiefes Bedürfnis aus meiner Vita heraus.“

Die 57-Jährige löst damit den ehemaligen WDR-Intendanten Fritz Pleitgen ab. Der 83-Jährige ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Nach einer Operation mache er derzeit eine Chemotherapie, sagte Pleitgen in Bonn bei der Vorstellung seiner Nachfolgerin. „Ich genieße diese Zeit, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat als zusätzliches Geschenk.“ Er hoffe, dass es Anne-Sophie Mutter gelinge, die Idee der Krebsvorsorge in die Gesellschaft und in die Politik hineinzubringen.

Die neue Präsidentin beklagte im Rückblick, dass es bei der Behandlung ihres Mannes „schwere diagnostische Fehler“ gegeben habe. Die Onkologie sei in den Neunzigerjahren „geradezu mittelalterlich“ gewesen. Mehrere wertvolle Monate einer möglichen Früherkennung seien damals verstrichen – auch weil man angenommen habe, ein Nichtraucher könne nicht an Lungenkrebs erkranken.

„Ich wünsche mir Ärzte, die eine klare Sprache sprechen, aber auch empathisch sind“, sagte Mutter. Die Diagnose sei ihrem Mann damals wie „ein TÜV-Prüfschein“ überbracht worden „mit einem definitiven Enddatum“. Schon in der Ärzteausbildung, so forderte die Künstlerin, müsse daher Wert auf „emotionale Intelligenz und Empathie“ gelegt werden. Krebs sei damals als ein Stigma empfunden worden, deshalb habe die Familie auch anfangs die Krankheit verheimlicht: „Es gab das Vorurteil, dass man nicht mehr sinnvolles Mitglied der Gesellschaft sein könne.“

Anne-Sophie Mutter plädierte nicht nur eindringlich dafür, „alle zur Verfügung stehenden Vorsorgeuntersuchungen“ zu nutzen. Sie setzte sich auch für eine bewusstere Ernährung schon im Kindesalter ein. Dies beginne mit der Folgemilch für Babys, die „vollgepumpt mit Zucker“ sei. Man müsse daher sämtliche Nahrungsmittel ins Visier nehmen, die gesundheitsschädlich sind. Bei alledem, so betonte die neue Präsidentin, gehe es ihr nicht „um ein Rezept für das ewige Leben, sondern darum, die Qualität unseres Alltags zu verbessern“. Auch die Musik- und Kunsttherapie könne in ein unmittelbar wirksames Behandlungskonzept eingearbeitet werden.

Die Deutsche Krebshilfe gewinnt damit eine streitbare Künstlerin für ihre Spitzenposition. Während der Pandemie hatte und hat sich Anne-Sophie Mutter auch – im Gegensatz zu prominenten Kolleginnen und Kollegen – immer wieder für die existenziell bedrohten freien Künstlerinnen und Künstler eingesetzt. Sie wolle sich nicht primär auf die Rolle als Musikerin beschränken lassen, sagte sie gestern. Mit Blick zum Beispiel auf ihre Hamburger Benefizkonzerte zugunsten von Kinderhilfsprojekten im Bürgerkriegsland Jemen meinte sie: „Es gibt Momente, die meinem Leben mehr Sinn geben als ein normales Konzert.“

Erste Präsidentin der 1974 von ihr gegründeten Deutschen Krebshilfe war Mildred Scheel, Ärztin und Frau des damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel. Auf sie folgten der Politiker Helmut Geiger, die Physikerin und thüringische Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski, der Mediziner und Nobelpreisträger Harald zur Hausen und Journalist Fritz Pleitgen. „Es gibt niemand Besseren“, sagte Joachim Faber, Vorsitzender des Stiftungsrats, über Anne-Sophie Mutter. In seinem gesamten Leben habe es keine Entscheidung gegeben, „die mir derart leichtgefallen ist wie diese“.

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