Der erfolgreichste Popmusiker, den die Welt je gesehen und vor allem gehört hat, bleibt im künstlerischen Unruhestand. Erst vergangenen Dezember hat Paul McCartney sein vor Ideen nur so sprühendes Soloalbum „McCartney III“ veröffentlicht. Das Weihnachtsgeschenk für seine Fans und sich selbst wurde auch kommerziell zum Triumph, als Nummer eins in Großbritannien und Deutschland, als Nummer zwei in den US-Albumcharts.
Nun hat der 78-Jährige seine Erfolgsplatte noch einmal neu erfunden – beziehungsweise erfinden lassen. Denn gerade ist „McCartney III Imagined“ erschienen, auf dem „alle Titel des Albums von Künstlerkollegen und Freunden neu interpretiert werden“, wie es in der Beschreibung heißt. Das famose Experiment mit Stars wie Damon Albarn und Geheimtipps wie Phoebe Bridgers könnte dazu führen, dass eine ganz neue Generation von Hörern den großen alten Liverpooler für sich entdeckt.
Sir Paul höchstpersönlich hat die DJs, Rapper, Elektropopper und Alternativ-Rocker ausgewählt, die seine aktuellen Songs noch einmal neu erschaffen durften. Er verrät über die Entstehung: „Ich dachte mir, dass das eine prima Idee ist – gerade jetzt im Lockdown, wenn alle viel Zeit haben und niemand auf Tour gehen kann.“ Dass ihm solche musikalischen Abenteuer Spaß machen, hat er oft genug bewiesen – unter anderem mit dem schrägen Synthiepop auf der 1980er-Soloplatte „McCartney II“ und in den Neunzigern in seiner Elektromusiker-Zweitkarriere als „The Fireman“.
Nun durften Kollegen und Freunde ran. Und wer eines der üblichen, eher faden Remix-Alben befürchtet hat, kommt beim Hören aus dem Staunen kaum mehr heraus. Denn die elf Songs klingen wie aus einem Paralleluniversum, in dem Paul McCartney keine 78 ist, sondern erst 28 – oder sogar eine Frau, eine Paula McCartney.
Die Bandbreite ist ungeheuer groß, und praktisch jedes der Wagnisse gelingt. Die Beck-Version von „Find my Way“ ist mit einem wuchtigen Schlagzeug-Beat über der verfremdeten Stimme von Paul absolut Club-tauglich. Die texanischen Schöntöner Khruangbin verpassen „Pretty Boys“ eine loungige Ibiza-Atmosphäre. Und die kalifornische Singer-Songwriterin Phoebe Bridgers verwandelt „Seize the Day“ in charttauglichen und trotzdem gegenüber McCartney respektvollen Mädchenpop.
Mal verwenden die Stars die Originalstimme von Paul, wie Blurs Damon Albarn in seinem spukigen „Long tailed Winter Bird“. Und mal singen sie selbst, wie Josh Homme von Queens of the Stone Age im rumpeligen Toiletten-Blues „Lavatory Lil“.
Für die brillantesten Beiträge sorgen US-Rapper und Sänger Domin den Hintern tritt – und Radiohead-Gitarrist Ed O’Brien, dessen „Slidin’“ es noch deftiger und Helter-Skelter-esker rumpeln lässt als Pauls wahrlich nicht kraftloses Original.
Fazit: Auch wenn ein Paul McCartney die „Little Help from his Friends“ gar nicht nötig hätte, sorgt „McCartney III Imagined“ für das spannendste Beatles-Experiment seit dem Remix-Album „Love“ von 2006.
Paul McCartney:
„McCartney III Imagined“
(MPL/Capitol).