Eigentlich schrieb Frank Schätzing (63, „Der Schwarm“; Foto: Christoph Hardt/Geisler/dpa) an einem Thriller. Dann kam Corona und damit die Idee, sich in einem Sachbuch mit einem viel größeren Problem als einer weltweiten Pandemie zu befassen: dem Klimawandel.
Zerstören wir gerade unseren Lebensraum?
Wir sind seit geraumer Weile dabei. Die allermeiste Zeit in der Geschichte des Homo sapiens haben wir uns dem Planeten angepasst. Es waren mehr Ressourcen vorhanden als Menschen. Jetzt versuchen wir, den Planeten uns anzupassen. Längst gibt es mehr Menschen als Ressourcen. Wir überstrapazieren unsere Existenzgrundlagen und verprassen die Dividenden von Jahrmillionen, Öl, Kohle, Gas, die Mutter Natur gewissermaßen für uns angespart hat, nach dem Motto: „Teilt’s euch ein!“ Aber wir sind wie Kinder, wenn’s Schokolade gibt. Alles wird verputzt. Wir fügen unserer Welt irreversible Schäden zu.
Mit der Art und Weise, wie wir leben?
Mit den Narrativen, in denen wir leben. Mit fabulösen Erzählungen vom nie endenden Wachstum und der ständigen Verfügbarkeit von allem zum Billigpreis. Wir haben unseren Sinn für die Begrenztheit und den Wert der Dinge verloren.
Deswegen haben Sie ein Sachbuch über die Klimakrise geschrieben.
Ich hatte das Gefühl, ich muss was tun. Klar spielte auch die Situation im vergangenen Jahr eine Rolle. Sprach man Leute auf den Klimawandel an, hieß es: „Komm’ mir bloß nicht auch noch damit!“
Warum sind wir so?
Na ja, Menschen sind nicht wirklich multikatastrophenfähig. Wir reagieren auf die unmittelbare Gefahr und verlieren dabei die größere Bedrohung aus den Augen. Oft mangelt es schlicht an Wissen. Wir sehen die Symptome, aber nicht die Ursache, und die Symptome werden falsch gedeutet. Es gibt nicht das eine ikonische Bild für den Klimawandel. Ein Erdbeben sieht aus wie ein Erdbeben. Krieg sieht aus wie Krieg. Aber Klimawandel? Was bedeutet es, in einer zwei oder drei Grad wärmeren Welt zu leben? Also habe ich die erste Hälfte des Buches für Erklärungen verwendet. Wir brauchen diese Verständnispower, um handeln zu können. In der zweiten Hälfte geht es um unsere Optionen. Was müssen Politik und Wirtschaft jetzt tun? Was kann jeder tun?
Bücher über die Klimaerhitzung sind oft schwere Kost. Was machen Sie anders?
Ich bin Geschichtenerzähler. So gehe ich auch an Sachbücher heran. Ich erzähle die Geschichte unseres Hierseins, unserer Vergangenheit, unserer Zukunft. Je packender ich das tue, desto größer die Chance, dass mir jemand zuhört. Ich will ja niemanden verschrecken. Ich will Menschen fesseln und ihre Aufmerksamkeit, letztlich ihre Unterstützung gewinnen. Es gibt nichts Spannenderes als die Netflix-Serie, in der wir leben. So gesehen ist der Klimawandel ein Abenteuer, in dem jeder ein Held sein kann.
Sie schreiben: „Wir können Einfluss nehmen. Wenn wir nur wollen.“ Wollen wir?
Ich glaube schon! Das stelle ich in mehr und mehr Gesprächen fest. Das Schlimme an Corona ist, dass es uns in kollektive Ohnmacht stürzt. Die Menschen sehnen sich danach, etwas zu bewegen, zurück ins Handeln zu finden, und Klimaschutz schafft Gestaltungsräume. Vielen ist zuletzt klar geworden, dass etwas grundlegend schiefläuft: Klima, Pandemie, Massentierhaltung, Armut, häusliche Gewalt, Sexismus, Rassismus, alles hängt zusammen. Die Bereitschaft, sich zu ändern, wächst. Ich glaube, 2021 wird ein Klimajahr.
Wie können wir die Klimakrise meistern?
Absolute Priorität hat, die weitere Erwärmung des Planeten zu stoppen. Ob wir am Ende bei 1,5, 1,75 oder zwei Grad Celsius landen, kann niemand sagen. Keinesfalls dürfen wir drüber gelangen! Das würde Kaskadeneffekte in Gang setzen, die wir nicht mehr kontrollieren können. Unsere Enkel würden in der Hölle aufwachsen.
„Fridays for Future ist der Beginn der Revolution“, heißt es in Ihrem Buch.
Fridays for Future haben vorgelegt, jetzt brauchen sie den Rückhalt aus der Mitte der Gesellschaft. Die Zeiten, da Klimaschutz Sache engagierter Minderheiten war, sind vorbei. Aber man muss den Menschen ihre Ängste nehmen – ein Grund, warum ich das Buch geschrieben habe. Viele fühlen sich der Erderwärmung schutzlos ausgeliefert. Andere fürchten, Bewegungen wie Fridays for Future wollten ihnen alles wegnehmen. Es geht aber nicht ums Wegnehmen, sondern um ein besseres Leben für 7,77 Milliarden Menschen. Dieses bessere Leben wird vielleicht nicht mehr mit dem gewohnten Überfluss einhergehen, dafür aber mit mehr Qualität! Wir werden Dinge mehr wertschätzen. Unterm Strich wird das Leben sogar schöner.
Das Gespräch führte Steffen Trumpf.
Frank Schätzing:
„Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise“. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 336 Seiten;
20 Euro.