Der Kino-Tod des Boandlkramers

von Redaktion

Joseph Vilsmaiers letzter Film startet bei Amazon – Entsetzen in der Branche

VON KATJA KRAFT

Er hätte das Ross sein sollen, das die Kutsche der Kinobetreiber aus dem Sumpf der Pandemie zieht. Und jetzt das. „Der Boandlkramer und die ewige Liebe“, der letzte Film von Joseph Vilsmaier – dem Bayern, dem Menschenfreund, dem Kinoliebhaber – wird nicht auf den Leinwänden seiner Heimat Premiere feiern, sondern: auf Amazon Prime Video. Wie gestern berichtet am 14. Mai.

In der Kinobranche herrscht Entsetzen. „Für uns war dieser Film ein Lichtblick am zurzeit so düsteren Himmel“, beschreibt es Gerda Kroiß, die das Roxy Kino Abensberg (Kreis Kelheim) führt. Weil es eben nicht irgendein Streifen war, sondern der vom Sepp. Den sie hier in Bayern alle persönlich kannten. „Er hat den Kontakt zu uns Kinoleuten hochgehalten. Noch im hohen Alter ist er mit seinen Filmen durchs Land gereist, um sie persönlich zu präsentieren.“

Dass es nicht im Sinne des 2020 verstorbenen Regisseurs gewesen wäre, nun noch die letzten Meter bis zur Aufhebung der Corona-bedingt erzwungenen Kinoschließungen durchzustehen, um dann umso fulminanter Premiere zu feiern – das können sich viele, die ihn kannten, nicht vorstellen. Streaming statt Kino? „Ich glaube nicht, dass das dem Sepp gefallen würde“, sagt Kroiß.

So viele Monate habe man überwunden, weil sie an den Film glaubten. Mehr als eine Million Zuschauer hätte Kroiß ihm zugetraut. Was für einige Häuser eine Abdeckung von 20 Prozent des Jahresumsatzes bedeutet hätte. Und nicht nur das: Durch die Starttermin-Verschiebungen wäre er wohl mit dem neuen Eberhofer-Krimi „Kaiserschmarrndrama“ herausgekommen – der eine hätte den anderen befruchtet.

Es geht hier, so betonen alle aus der Branche, die mit unserer Zeitung gesprochen haben, aber nicht genannt werden möchten, also nicht um die bloße Leidenschaft fürs Kino. Es geht um die Existenz von Zigtausenden. Von Disney sei man es im Lockdown bereits gewohnt, dass sie fürs Kino geplante Filme nun im Internet anbieten. Doch die urbayerischen Werke an einen amerikanischen Konzern wie Amazon noch vor der Kinoauswertung zu verkaufen? Schien bisher unvorstellbar.

Zumal solche wie den „Boandlkramer“, der mit Steuergeldern über die Filmförderung mitfinanziert wurde. Das ist auch eine rechtliche Frage, über die nun etwa der FilmFernsehFonds Bayern (FFF) beraten muss. Denn das letzte Werk Vilsmaiers war ja unter der Prämisse gefördert worden, dass es fürs Kino entsteht. Muss das Geld zurückgezahlt werden? Ungewiss. FFF-Geschäftsführerin Dorothee Erpenstein sagte auf Anfrage: „Die Pandemie stellt Produzenten, Verleiher und Filmtheater gleichermaßen vor bisher unbekannte Herausforderungen. Alle Beteiligten sollen die bestmögliche Begleitung bei der Bewältigung der Krise erhalten.“ Der FFF werde im Rahmen seiner Möglichkeiten und in Abstimmung mit seinen Gesellschaftern dabei unterstützen. „Das konnten wir schon umsetzen mit Förderprogrammen für die Filmtheater und mit dem Mehrkostenprogramm für Produzenten und Verleiher. Wie bisher werden auch künftig alle Schritte sorgfältig geprüft.“

In der Branche fürchtet man dennoch einen Dammbruch: Wenn weitere Verleihfirmen sich auf Angebote großer Konzerne wie Amazon oder Netflix einlassen – was passiert dann mit der deutschen Kinokultur? „Wir haben in Bayern eine so frische, wilde, vielfältige Kulturlandschaft. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, drohen wir sehr viel zu verlieren. Es geht nur miteinander“, mahnt Andrea Hailer aus Bad Aibling, die die Kino- und & Filmmarketing-Firma soulkino leitet. Heute telefonieren sich die deutschen Kinobetreiber zusammen. Um über solche „Angriffe von außen“ zu beraten. Dass ein Verleih, der ja auch unter dem Lockdown leidet, bei hohen finanziellen Reizen schwach wird, sei verständlich. Und doch müssten sich alle, die so handelten, der Folgen bewusst sein – das Kinosterben wird voranschreiten. Da hilft es auch nichts, dass vom Verleih zu Vilsmaiers zweitem Todestag 2022 ein „Event-Kinowochenende“ geplant ist. Das, so vergleicht es eine Kinobetreiberin, sei wie ein bereits abgenagter Knochen, den man einem Hund hinwirft.

Gerda Kroiß wurde damals von Joseph Vilsmaier ans Set des „Boandlkramers“ eingeladen. Sie kam mit zehn Mann, mit Blaskapelle, mit Fleischpflanzerln, mit einem Fass Bier. „Mit dem Sepp und den Schauspielern haben wir den Film gefeiert. Das war Kino. Das war Leben. Das kann dir kein Stream geben.“

Artikel 2 von 11