Seine beiden Impfungen gegen das Coronavirus hat Tom Jones bereits erhalten. Wenn es nach ihm geht, steht er bald wieder auf der Bühne. „Momentan sieht es nach Mitte Juli aus“, erzählt er im Interview. Für den Sommer sind ein paar Freiluft-Konzerte in England geplant – vor Publikum. „Gott sei Dank!“, sagt der 80-Jährige. „Denn welchen Sinn hat das ohne die Leute? Die Leute wollen mich singen hören, und ich will für sie singen.“ Außerdem hat er neue Songs vorzustellen.
Das wievielte Studioalbum „Surrounded by Time“, das heute erscheint, in Jones’ Diskografie ist, lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, vermutlich Nummer 42. Auf jeden Fall ist es das erste seit dem Tod seiner Frau. Mit seiner Jugendliebe Linda war er 59 Jahre lang verheiratet. 2016 starb sie an Krebs. „Das Schwierigste, was ich in meinem Leben je bewältigen musste“, sagt Jones. Der gemeinsame Sohn Mark habe ihm dabei geholfen. „Er hat zu mir gesagt: ,Du musst jetzt in die Gänge kommen und dich zusammenreißen. Sonst gehst du ein, sonst kannst du auch gleich sterben‘“, erzählt Jones.
„Du musst weitermachen“, habe ihm auch Linda kurz vor ihrem Tod aufgetragen. Eine bewegende Verneigung vor ihr leitet das neue Album ein. „I won’t crumble“, singt Jones mit ergreifender Schwermütigkeit. „Ich werde nicht zusammenbrechen.“ Seine Aufnahme des Gospels von Bernice Johnson Reagon wirkt emotionaler als das Original. „Ich muss so echt wie möglich sein.“ Das ist ihm gelungen.
Der Sänger aus dem walisischen Pontypridd macht mit 80 Jahren einen ausgezeichneten Eindruck. „I’m growing old“ heißt ein Titel, eine melancholische, unaufdringliche Ballade. Mit dem Altern hat der „Tiger“, wie er wegen seines Sex-Appeals in den Sechzigern genannt wurde, allerdings überhaupt kein Problem. Nur eines stört ihn daran: „Dass mir nicht mehr so viel Zeit übrig bleibt.“ Auf dem neuen Album, das überwiegend aus Cover-Versionen nicht allzu bekannter Songs besteht, klingt sein unverwechselbarer Bariton so kraftvoll, dass Ruhestand einer musikalischen Verschwendung gleichkäme.
Jones gehört zu den wenigen Sängern, die jedes Genre können. „It’s not unusual“, „Kiss“ oder „Sex Bomb“ – in seiner rund 60-jährigen Karriere hat er sich von beschwingtem Pop mit Big-Band-Sound über R&B und Disco bis hin zum Blues alles zu eigen gemacht. Jetzt singt er Malvina Reynolds’ Folknummer „No Hole in my Head“ im Psychedelic-Rock-Stil und verwandelt Cat Stevens’ „Popstar“ in eine witzige Tanznummer. Michel Legrands Oscar-prämiertes „Windmills of your Mind“ aus dem Film „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ verleiht Jones ein völlig neues Flair – 53 Jahre, nachdem die von Noel Harrison gesungene Version veröffentlicht wurde. Weitere Höhepunkte der Platte sind „One more Cup of Coffee“ (Bob Dylan) und der coole, gesprochene „Talking Reality Television Blues“ (Todd Snider).
Dass die Songs zeitlos klingen, liegt auch an der hervorragenden Produktion von Ethan Johns. Mit ihm hat Jones schon die viel beachtete Trilogie „Praise & Blame“ (2010), „Spirit in the Room“ (2012) und „Long lost Suitcase“ (2015) aufgenommen, auf der er sich wieder mal musikalisch neu erfand.
Mit „Surrounded by Time“ fügt der 80-Jährige seiner Vita nun ein weiteres beeindruckendes und vielseitiges Spätwerk hinzu. Tom Jones ist überzeugt, dass es seiner schärfsten Kritikerin gefallen hätte: Linda. „Sie hätte dieses Album geliebt. Da bin ich mir sicher. Aber sie hatte leider nicht mehr die Gelegenheit, es zu hören.“
Tom Jones:
„Surrounded by Time“ (EMI/Universal).