Olympiareif flexibel bleiben – wenn, dann lernen das Kulturinstitute und -veranstalter in der Anspannung zwischen Lockdowns und Lockerungen. Nina Hümpel, die zum fünften Mal die Münchner Dance Biennale (6. bis 16. Mai) kuratiert, kann davon ein Lied singen. „Im März 2020 dachte ich, dass ich einen Lottogewinn gezogen habe“, sagt sie mit Galgenhumor. „Mein Festival würde ja erst im Mai 2021 stattfinden, mit analogen Vorstellungen, Tanz im öffentlichen Raum und mit krachenden Partys.“
Monatelang hat sie dann analog und zugleich digital geplant oder ganz verzichten müssen: „2019 habe ich in Peking junge Talente entdeckt. Sie sprechen kaum Englisch, haben kein Management. Also hätten wir vor Ort die Organisation übernehmen müssen. Aber dort noch ein Theater für das Streaming ihres Stücks zu finden, war illusorisch.“
Ähnlich prekär die Einladung der Südkoreanerin Eun-Me Ahn. In ihrem Stück „North Korea Dance“ werden ihre Soloauftritte umrahmt von zackig militärischen Aufmärschen und folkloristischen Tänzen in traditionellen koreanischen Kostümen. Diese revuehafte Show mit hintergründigem Blick auf das geteilte Korea hat zumindest die Chance, am Bildschirm zu begeistern. Die Vorschläge für eine Filmvorführung im Carl-Orff-Saal, dann für eine Freiluft-Projektion zum Beispiel in Biergärten, wurden leider abgelehnt.
Nach langer aufreibender Planungsachterbahn findet das Festival nun digital statt. Das gilt auch für die Künstlergespräche, für Workshops unter anderem über den Tanzjournalismus und das Symposium zum Thema „Politische Artikulation in Tanz und Literatur“. Dennoch verspricht diese 17. Dance-Ausgabe eine ästhetische wie intellektuelle Erholung vom Pandemie-Alltag: mit Tanz, der sich politisch äußert, der durch Corona angeregt über Nähe und Distanz nachdenkt und das Tanzen in fortgeschrittenem Alter in den Blickpunkt rückt.
Eröffnet wird an diesem Donnerstag dreiteilig: mit der Uraufführung von „Jeder Versuch führt zu zermalmten Körpern und gebrochenen Knochen“ des Belgiers Jan Martens. Erarbeitet hat er es mit dem Berliner Dance On Ensemble, zu dem sich 2015 Tänzerinnen und Tänzer ab 40 zusammengeschlossen haben. Mit 17 Solistinnen und Solisten zwischen 16 und 69 Jahren werden hier verschiedene Formen des politischen Aufbegehrens dargestellt.
Im Dokumentarfilm „Mitten“ gibt die renommierte belgische Tanzfrau Anne Teresa de Keersmaeker Auskunft über ihre Arbeitsweise. Und Richard Siegal, von der Stadt München gefördert und zurzeit im Schauspiel Köln etabliert, zeigt von dort sein „Two for the Show“. Es ist eine von vorneherein für den digitalen Raum konzipierte Performance. Online kann man sich dabei zwischen verschiedenen Live-Streams wie durch Räume in einem Gebäude bewegen und mit anderen Zuschauerinnen und Zuschauern chatten. Siegal ist nochmals zum Dance-Abschluss am 16. Mai zu erleben mit „New Ocean Sea Cycle“. Es ist eine für die Münchner Pinakothek der Moderne erarbeitete Choreografie, in der Tanz in einen Dialog tritt mit der Skulptur „Howl“ des britisch-indischen Bildhauers Anish Kapoor (bis 15. August). Erstmals zu Gast ist der Choreograf Serge Aimé Coulibaly aus Burkina Faso. Das Solo, das er für den Tänzer Jean Robert Koudogbo Kiki geschaffen hat, spiegelt die durch Corona gefährdete Existenz eines zwischen Afrika und Europa arbeitenden Künstlers.
Als ein Höhepunkt versprochen ist die digitale Dance History Tour zurück zu den 1910er- und 1920er-Jahren. „Sie beginnt im Monacensia-Literaturarchiv. Dort ist Hans Brandenburgs einschlägiges Buch ‚Der Moderne Tanz‘ von 1913/1921 zu finden“, erklärt Thomas Betz, der mit Brygida Ochaim kuratiert hat. „In der Villa Stuck musste Isadora Duncan 1902 vorsprechen, bevor sie im Künstlerhaus auftreten durfte. Mit ihrer revolutionären Tanzkunst inspirierte sie ja auch Münchner Tänzerinnen und Tänzer wie Rita Sacchetto, Sent M’Ahesa, Gertrud Leistikow, Joachim von Seewitz, Lo Hesse und Edith von Schrenck.“
Weiter geht es zu den Hofgarten-Arkaden, wo in Schaufenstern des Deutschen Theatermuseums Tanzfotografien aus dem Archiv des Münchners Hanns Holdt und frühe Tanzfilme präsentiert werden. Die Kammerspiele sind dann die Station, wo, ganz „Avantgarde“, in Salome-Schleiern oder gleich ganz nackt getanzt wurde – zensurbedingt in geschlossener Gesellschaft.
Zwei weitere Schwerpunkte widmen sich Rudolf von Laban und seiner Münchner „Schule des freien Tanzes“, wo ihm die später so berühmte Mary Wigman assistierte. Man erfährt noch mehr in dieser Tour. Und nachzulesen ist sie auch in der im Münchner Allitera Verlag erschienenen, reich illustrierten Publikation „Der freie Tanz. München als Wiege der modernen Bewegungskunst 1900-1919“ von Brygida Ochaim und Thomas Betz.
Informationen
zu den Produktionen und zum Ticket-Kauf unter www.dance-muenchen.de.