Vom Glauben getragen

von Redaktion

Für junge Leser: Werner Milstein beschreibt Sophie Scholls Entwicklung zur Freiheitskämpferin

VON KATJA KRAFT

Selber denken. Noch so eine in Vergessenheit geratene Sache. Wenn an diesem Sonntag an den Geburtstag Sophie Scholls erinnert wird, ist das auch ein Plädoyer für den Mut, sich seines eigenen Hirnkasterls zu bedienen. Denn wenn diese junge Frau es geschafft hat, sich trotz der Propaganda des nationalsozialistischen Regimes von einem engagierten Jungmädel zur Widerstandskämpferin zu entwickeln – welche Ausrede haben wir dann in einer Demokratie dafür, nicht gegen Unrecht einzustehen?

Nein, nicht wie Jana aus Kassel. Sich in Corona-Zeiten bei einer Querdenker-Demo auf die Bühne zu stellen und zu verkünden „Ich bin Jana aus Kassel und ich fühle mich wie Sophie Scholl“, weil man sich wie diese im Widerstand gegen die Regierung befinde, hat mit Denken wenig zu tun. Jana aus Kassel muss nicht um ihr Leben fürchten, wenn sie sich kritisch zu Lockdown-Beschränkungen äußert. Scholl riskierte alles. Als ihr Freund Fritz Hartnagel sie im Mai 1942 angesichts ihrer Mitwirkung bei der Flugblätter-Verbreitung eindringlich fragte: „Bist du dir im Klaren, dass dies dich den Kopf kosten kann?“ – soll sie mit fester Stimme geantwortet haben: „Ja, darüber bin ich mir im Klaren.“

Es ist eine Szene aus Werner Milsteins Buch „Einer muss doch anfangen!“. Eine Sophie-Scholl-Biografie, die eine Fundgrube sein soll „für Jugendliche und junge Erwachsene und für alle, die danach fragen, wie Menschen in widrigen Zeiten Humanität und Anstand bewahren können“. Tatsächlich wendet sich der Theologe in Schreibstil und vorausgesetztem Wissensstand eher an ein jüngeres Lesepublikum. Sophie Scholl für Einsteiger gewissermaßen.

In 18 übersichtlichen Kapiteln beschreibt er ihren kurzen Lebensweg von der Kindheit in Baden-Württemberg, über ihre Begeisterung für die Jungmädel, die Liebe zu ihrem späteren Verlobten Fritz Hartnagel (1917-2001) bis zu ihrer Ankunft in München, dem Beginn des Studiums und Widerstands – und schließlich zu Prozess und Todesurteil. Selbst wer das Ende dieser bemerkenswerten Frau kennt, ist angesichts jeder neuerlichen Beschreibung ihrer starken inneren Haltung, ihrer Tapferkeit am Schluss ihres Lebens überwältigt. Wenn Sophie Scholl das Angebot eines Gestapobeamten, sich von ihren Taten zu distanzieren, mit den Worten ablehnt: „Sie täuschen sich, ich würde alles genau noch einmal machen, denn nicht ich, sondern Sie haben die falsche Weltanschauung.“ Wenn sie, vom Haftpersonal unbemerkt, auf die Rückseite der Anklageschrift zweimal das Wort „Freiheit“ schreibt; oder wenn sie, am Tag ihrer Hinrichtung, aus dem Fenster blickt und angesichts der Sonnenstrahlen, die zwischen den Gefängnisgittern in die Zelle fallen, sinniert: „So ein herrlicher, sonniger Tag, und ich muss gehen. Aber wie viele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wie viele junge hoffnungsvolle Männer… Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt werden.“

Es ist die Geschichte eines erstaunlichen Reifeprozesses. Milstein erklärt die Entwicklung Sophie Scholls hin zur Freiheitskämpferin mit ihrem Elternhaus, in dem Religion und Freigeist zugleich hochgehalten wurden; mit den Eindrücken ihrer Brüder und Freunde als Soldaten im Zweiten Weltkrieg; und schließlich mit dem Einfluss der intellektuellen Kreise, in die sie durch ihren Bruder Hans Zugang fand. Unter diesen Professoren, Künstlern, Philosophen und Medizinern auch Falk Harnack, der Cousin der Brüder Klaus und Dietrich Bonhoeffer. Am 25. Februar 1943 um 16 Uhr hätten die beiden so wichtigen Regimegegner Hans Scholl in Berlin kennenlernen sollen. Sie warteten vergeblich – drei Tage zuvor waren Hans und Sophie hingerichtet worden.

Werner Milstein:

„Einer muss doch anfangen! Das Leben der Sophie Scholl“. Gütersloher Verlagshaus, 208 S.; 15 Euro.

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