Grabstein-Blues

von Redaktion

Bob Dylan wird 80 Jahre alt

VON JOHANNES LÖHR

Im Grunde klingt Bob Dylan schon auf seinem ersten Album wie ein 80-Jähriger. Als sich der Bursche Robert Zimmerman 1961 von seiner Heimatstadt, dem schäbigen Bergbau-Kaff Hibbing im Norden der USA, nach New York aufmacht, singt er im Greenwich Village mit seinem charakteristischen Krächzen die alten Balladen über Mörder und Arbeiter aus der Zeit der Depression. Ein altkluger Bub mit alttestamentarischem Grant in der Stimme.

Aus ihm ist einer der wichtigsten Musiker des 20. Jahrhunderts geworden. Ein Fixstern, eine Legende. Und am Montag, seinem 80. Geburtstag, wird Dylan es endlich geschafft haben, so alt zu werden, wie er sich damals anhörte. Diese Stimme. Sie ist schon für die frühen Hörer eine Herausforderung. „Als ob sie über die Mauern eines Tuberkulose-Sanatoriums geweht wäre“, ätzt ein Kritiker. „Bobby Dylan klingt wie ein Hund, der sich im Stacheldraht verfangen hat – aber das macht nichts, denn er schreibt die Songs“, erklärt Rodney Dillard dem lachenden Publikum 1964, bevor die Bluegrass-Band The Dillards eine famose Version von „Walkin’ down the Line“ anstimmt.

Bis heute hält sich bei vielen die Meinung, Dylan-Songs seien überhaupt nur von anderen gesungen erträglich. Als trotzige Reaktion warb die Firma Columbia Records in den Sechzigern für ihren Künstler: „Nobody sings Dylan like Dylan.“ Auf diesen Satz können sich sowohl seine Fans als auch seine Gegner einigen, denn man kann ihn auch als Drohung verstehen. Bei seinem ersten Dylan-Konzert in den Neunzigern erkennt der Autor dieser Zeilen erst nach geschlagenen fünf Minuten der frei flottierenden Gesangsdarbietung des Meisters, dass es sich um den Song „Mr. Tambourine Man“ handelt.

Dass man Dylan 2016 den Literaturnobelpreis verliehen hat, macht es nicht besser, auch wenn er ihn für „neue poetische Ausdrucksformen in der amerikanischen Song-Tradition“ erhielt, so die offizielle Begründung. Denn bei dem Preis geht es nun mal um Worte und nicht darum, wie man sie äußert. Doch Dylan selbst hat damit ein grundlegendes Problem: In seiner mit einem Jahr Verspätung nachgeschobenen Dankesrede weist er die Einschätzung zurück, dass seine Lyrics Literatur seien. Er betont den Vorrang des Klangs. Ihm sei die Bedeutung von Songtexten oft nicht wichtig, solange sie gut klängen, kokettiert er. Denn wer genau hinhört, merkt: Dylan ist ein Meister der Phrasierung, er lädt Sprache elektrisch auf, wenn er Silben zerdehnt, Konsonanten spuckt und seine Tiraden einfach nicht im Versmaß einrasten wollen.

Auch Dylans Karriere als „Recording Artist“ kann man anhand seiner Stimme unterteilen: der uralte Debütant, die helle Folk-Stimme von „The Times, they are a-changin’“, der schneidende Sarkasmus seiner Rocksongs, vor allem in „Like a Rolling Stone“, die Kiffer-Coolness von „Blonde on Blonde“, der Country-Einschlag von „Nashville Skyline“, das Predigen der Gospelphase Ende der Siebziger, das Näseln von „Oh Mercy“ und „Time out of Mind“. In jüngster Zeit raunt Dylan altersbedingt beinahe nur noch, etwa im Song „I contain Multitudes“ auf der jüngsten LP. „I sleep with Life and Death in the same Bed“, heißt es da im Bewusstsein der Sterblichkeit.

Vielleicht muss man Dylans Art zu singen vor diesem Hintergrund sehen. Ständige Bewegung ist besser als Stillstand, und jedes Lied könnte das letzte sein, mit dem man gegen den Grabstein-Blues ansingen und dem Tod ein Schnippchen schlagen kann.

Im Song „Tombstone Blues“ erklärt der junge Dylan 1965 einer „Lady“: „I wish I could write you a Melody so plain, that could ease you and cool you and cease the Pain.“ Nein, mit einer einfachen Melodie kann er nicht dienen, den Schmerz muss man schon aushalten. Denn solange man ihn spürt, ist man noch am Leben.

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