Absurditäten der Anpassung

von Redaktion

Die Villa Stuck zeigt „Bis ans Ende der Welt und über den Rand – mit Adolf Wölfli“

VON ALEXANDER ALTMANN

Man soll seine Ansprüche ja nicht zu weit hochschrauben: Dass in einer Kunstausstellung, die assoziativ das Thema Weltenschöpfung umkreist, vielleicht auch noch ein Restchen Ursuppe präsentiert wird, kann wirklich niemand erwarten. Wenn dafür aber immerhin die „Urpuppe“ zu sehen ist, darf man mehr als zufrieden sein. Denn die gleichnamige Bronzeplastik des Dadaisten Hans Arp (1886-1966) findet sich tatsächlich in der neuen Ausstellung der Münchner Stuck-Villa.

„Bis ans Ende der Welt und über den Rand – mit Adolf Wölfli“ heißt die sympathisch überspannte Schau, in der Werke von Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts in einen Dialog treten sollen mit Zeichnungen von Adolf Wölfli (1864-1930). Dieser Schweizer, der wegen Schizophrenie den größeren Teil seines Lebens in einer psychiatrischen Heilanstalt verbrachte, gilt als einer der wichtigsten und berühmtesten Vertreter der sogenannten Outsider-Art, die früher auch als „Kunst von Geisteskranken“ bezeichnet wurde.

Seine wimmelbildartig wirkenden Buntstiftzeichnungen, die zudem oft Schrift, Noten, Zahlenreihen enthalten, sind bei aller kleinteiligen Überfülle meist symmetrisch angelegt, weshalb sie aus der Entfernung auch an ornamentale Mandalas erinnern. Auf seltsame Weise gehen Obsession und Harmonie eine Verbindung ein in diesen Blättern, mit denen Wölfli ein gigantisches subjektives Fantasie-Universum erschuf.

Nun haben sich Künstler seit der Renaissance zumindest im metaphorischen Sinn immer auch als Weltenschöpfer verstanden. In der Moderne wurde diese Haltung dann mit einem deutlich ironischen Drall aufgegriffen. Insofern ist es kein Wunder, dass die verschiedenen künstlerischen Paralleluniversen von Anselm Kiefer bis Karl Valentin, die in der Stuck-Villa dem Wölfli-Universum beigesellt sind, mit diesem oft eine Anmutung des Skurrilen, Grotesken, Abseitigen teilen. Und vielleicht wirken sie auch deshalb so wohltuend, weil dieser für alles Schöpferische unverzichtbare Impetus der Abweichung, des Nonkonformen derzeit heftig bedroht scheint: vom allzu bekannten Ungeist gesellschaftlichen Gleichschritts, der mit dem herrschenden Hygiene-Fundamentalismus aus der Flasche gelassen wurde.

Von den Absurditäten des Anpassungszwanges handeln auch Valie Exports Fotos der „Körperkonfigurationen“ aus den Siebzigerjahren, die in der Schau präsentiert werden. Sie zeigen die Künstlerin beim Versuch, ihren Körper den Formen der städtischen Architektur anzuschmiegen, wobei notwendig nur linkische Verrenkungen oder Demutsgesten herauskommen.

Seltsame Déjà-vu-Effekte löst dann der tiefsinnige höhere Blödsinn einer Klang-Installation (1968) von Joseph Beuys aus, bei der verschiedene Stimmen im Singsang eines Verlegenheits-Gesprächs ständig die gleichen Worte wiederholen: „Ja ja ja ja ja. Nee nee nee nee nee.“ Quasi kontrapunktisch dazu läuft im gleichen Raum der legendäre surrealistische Stummfilm „Mysterien eines Frisiersalons“, für den Karl Valentin und der junge Bert Brecht 1922 zusammenarbeiteten.

In ihrem Video „Cash-Machine“ (2016) schließlich tritt Nezaket Ekici in einem schulterfreien weißen (Braut-)Kleid auf, an dem vorne lauter sauber gebügelte Geldscheine angeheftet sind. Die lässt die deutsch-türkische Künstlerin erst mit leicht lasziven Hüftschwüngen verlockend rascheln, ehe sie im Rhythmus eines Taktells Schein für Schein vom Kleid pflückt und auf den Boden wirft. Was dieser Moneten-Striptease mit Weltenschöpfung zu tun hat? Ganz einfach: Seine Mischung aus Botschafts-Pathos und Irrwitz ist eben urkomisch.

Bis 25. Juli,

Di.-So. 11-18 Uhr; Telefon 089/45 55 510.

www.villastuck.de.

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