Schläfenlappenfantasien

von Redaktion

PREMIERENKRITIK Philipp Arnold inszenierte „Macbeth“ fürs Volkstheater

VON MICHAEL SCHLEICHER

„Auf Anfang“, ruft Jakob Immervoll den Technikern im Münchner Volkstheater zu – und bekommt augenblicklich eine neutrale Lichtstimmung auf der Bühne. Wenn es für Immervolls Figur, den König Macbeth, doch nur auch so einfach wäre, zurückzugehen an den Beginn, an jenen Punkt, an dem sich alles verschoben hat – in seinem Kopf. Doch die Schläfenlappenfantasien des Schotten werden blutige Realität, denn Macbeth folgt seiner Wahrheit bedingungslos und brutal. Dabei wird er selbst sein schlimmster Feind, hängt hoffnungslos fest in einer inneren Hölle.

Philipp Arnold hat jetzt Shakespeares 1606 uraufgeführte Tragödie fürs Volkstheater inszeniert; am Freitag war Premiere. Sie läutete das Endspiel im Haus an der Brienner Straße ein. Dort wird mit dieser Arbeit am 20. Juni zum letzten Mal der Vorhang fallen, bevor die städtische Bühne in ihren Neubau an der Tumblinger Straße zieht.

Es sind konzentrierte, atmosphärisch dicht gewebte 105 pausenlose Minuten, in denen Macbeth unaufhaltsam seiner Vernichtung entgegentaumelt. Arnold richtet den Fokus ganz auf diesen Mann im Jetzt – wie er wurde, was er ist, interessiert den Regisseur nicht. Ihm geht es darum, zu zeigen, was drohen kann, wenn man den Ausgeburten des eigenen Hirns mehr Vertrauen schenkt als allem anderen. Wenn angeblich Wahrhaftiges sich steigert zu Wahn.

Viktor Reim hat dafür die Bühne weit aufgerissen und freigelegt, was verbaut ist: Scheinwerfer, Kabel, Seilzüge. All das ist hier ebenso einsehbar wie das Seelenleben Macbeths offenliegt. Nur präsentiert sich die Technik deutlich aufgeräumter.

Was den Schotten antreibt, umtreibt und quält, ist von Beginn an klar: Albtraumhafte Gestalten, gesichtslos und mit langgliedrigen Fingern – wie entwichen aus „Pans Labyrinth“ – schieben sich im Zwielicht über die Bühne. Aus ihnen werden sich später die drei Hexen rekrutieren, die Macbeth und Banquo erscheinen und die Zukunft vorhersagen. Ersteren ereilt fortan immer wieder dieser „Ruf an mich von jenseits der Natur“, der ihm prophezeit, einflüstert und Geschehenes kommentiert.

Keine Angst, es ist nur in seinem Kopf – doch zeigt Jakob Immervoll, wie quälend Hirngespinste sein können. Mit Respekt nähert er sich der Figur und findet einen zwingenden, überzeugenden Zugang. Sein Macbeth ist Opfer seiner selbst und deshalb Täter an seiner Umwelt. Getriebener und Treibender. Gleich einem Hund, hechelt er einmal um die Krone – freilich erst, nachdem eine Hexe das begehrte Objekt freigegeben hat – und zeigt, wie der Fanatismus uns zum Tier macht.

In Anne Stein hat Immervoll eine starke Partnerin. Ihre Lady Macbeth ist weniger machtgeile Anstifterin als vielmehr selbstbewusste Herrin der Lage: Bis ihr klar wird, dass ihr Gatte die Symphonie des Grauens weiter und weiter komponieren wird. In der Schlafwandelszene zeigt Stein berührend, wie ihre Figur doch von Schuld geplagt ist – und gönnt ihr einen unsentimentalen, daher würdevollen Tod. „Mehr als die Angst vor Wirklichem schreckt uns das gedachte Grauen“, heißt es an einer Stelle. Genau das führt dieser „Macbeth“ bildmächtig vor. Großer Applaus.

Weitere Vorstellungen

am 1., 4., 11., 14. und 20. Juni; Telefon 089/523 46 55.

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