Warum ist einem das so unangenehm? Weil es sich anfühlt wie Prostitution. Man geht also in den leeren Zuschauersaal der Kammerspiele, nervös wie vor einer Prüfung, und schaut zur Bühne. Da steht Wiebke Puls, lächelt einen herzlich an. „Hallo!“ – „Hallo.“ „Ich bin Wiebke.“ Automatisch läuft man der freundlichen Frau entgegen, wirft folgsam, wie im Programm gefordert, einen Euro in den Klingelbeutel. Wie eine Schauspielerin, die sich ans ausgemachte Drehbuch hält. Das hier endet. Wie geht es weiter?
„Setz’ dich!“ – „Wohin?“ – „Wohin du magst. Hier unten oder oben auf den Rang.“ Schüchtern setzt man sich auf den nächstgelegenen Platz. Geht das von der Zeit ab? Wie lange darf man überhaupt verweilen? „Money makes me cry“, diese Performance von Jan Bosse, die nun in den Kammerspielen zu sehen ist, provoziert. Zur Auseinandersetzung mit menschlicher Begegnung. Wie ist das, mit einer Person einen ganzen Theaterraum zu teilen, die man zwar als Schauspielerin schon erlebt hat, doch die einem persönlich völlig unbekannt ist? In einem Saal, der sonst bis zum letzten Platz gefüllt ist mit anderen Menschen.
„Money makes me cry“ wurde von Jan Bosse 2005 am Schauspielhaus Hamburg konzipiert. Vor Corona. Heute, in dieser irgendwie zeitlosen Zeit zwischen Lockdown und Lockdown und nun hoffentlich Ende des letzten Lockdowns bekommt die einmütige Performance eine neue Bedeutung. Wie viel ist uns Kunst wert? Ist sie „systemrelevant“? Was sind Künstlerinnen und Künstler bereit, für die Ausübung ihres Berufs zu tun?
Wiebke Puls lächelt nicht mehr. Sie weint. Tränen fließen ihr über das Gesicht. Fixiert sie mich? Nimmt sie mich wahr? Peinlich berührt sitzt man da, Reihe zwei kurz vor der Bühne, und fühlt sich schäbig. Dieser Frau beim Weinen zuzuschauen. Dafür bezahlt zu haben. Einen Euro. Darf man nachlegen? Entschuldigung, wo ist denn jetzt der Klingelbeutel?
Schluss. Vorhang zu. Die Platzanweiserin öffnet die Türen. Der nächste Zuschauer, bitte! Man dreht sich noch einmal zur Bühne. Und fragt sich, was hinter dem Vorhang geschieht. Lächelt Puls ob der gelungenen Verstörung ihrer Zuschauerin? Fühlt sie sich nackt angesichts der ausgestellten Emotionalität? Oder war’s für sie nur wie ein Schauspiel-Casting, Anweisung: „Zeig mal, ob du auf Kommando weinen kannst.“ Sie kann’s. Was das mit einem macht, kann ab jetzt in den Kammerspielen jeder selbst ergründen.
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