Orgelpunktlandung

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Maarten ’t Harts poetisch-skurriler Roman „Der Nachtstimmer“

VON MELANIE BRANDL

Eine Orgel zu stimmen. ist eine komplizierte Angelegenheit. Außer einem perfekten musikalischen Gehör benötigt man absolute Ruhe und wenn möglich einen Helfer, der auf Kommando die richtigen Tasten drückt. Der Orgelstimmer Gabriel Pottjewijd ist überglücklich, als er in dem sonderbaren Mädchen Lanna eine eifrige Assistentin findet, doch das Getöse der Schiffswerft in der südholländischen Hafenstadt macht konzentrierte Arbeit tagsüber kaum möglich.

Nicht nur die laute Werft entpuppt sich als Problem, auch Lannas portugiesische, bildhübsche, sehr komplizierte Mutter Gracinha und die alles äußerst kritisch beäugenden Bewohner des Städtchens machen Gabriels Auftrag schwierig. Als er, der wie viele andere Männer den verführerischen Reizen der Portugiesin zu erliegen scheint, auch noch Drohbriefe erhält, ist es mit der konzentrierten Ruhe endgültig vorbei.

Mit seinem Roman „Der Nachtstimmer“ meldet sich der Autor und Verhaltensbiologe Maarten ’t Hart zurück auf der großen Bühne der Literatur. Was die Themen angeht, bleibt er sich treu: Liebe, Glaube und Musik gehörten schon immer zu den Grundelementen seiner Geschichten, in denen er sowohl poetisch-skurril als auch mit den Augen des Forschers das Verhalten seiner Figuren seziert.

Wie beim Stimmen eines Instruments braucht man eine Weile, um im Klang dessen, was da ertönt, eine Melodie zu erkennen, einen Sound, auf den man sich – in diesem Fall als Leser – einlassen kann und will. Zu schräg klingen die Töne anfangs, zu unharmonisch holprig die Geschichte um den Orgelstimmer in diesem südholländischen Kaff und das offensichtlich autistische Mädchen mit seiner kratzbürstigen Mutter. Erst nach und nach fügen sich die Klänge zusammen, formen sich Töne zu Akkorden. Und der spröde Gabriel, der Bibeln in unterschiedlichen Sprachen liest (nicht, um den Inhalt zu vergleichen, sondern die Vokabeln zu lernen), wird zu einer Figur, die zaghaft Sympathien auslöst. Je harmonischer die von Gabriel zu gestimmten Orgeln klingen, desto lebendiger wird auch ’t Harts Geschichte, die sich so tapfer gegen jede Kategorisierung sträubt.

Niemand hat je behauptet, dass das Lauschen beim Orgelstimmen auch nur ansatzweise dem Genuss eines Konzertes gleichkommt. Und doch lernt man durch das bewusste Wahrnehmen von Dissonanzen und Harmonien vielleicht mehr über Musik und Klang als beim Hören eingängiger Melodien. Dasselbe gilt für Romane wie diesen: Das Lesen macht vielleicht manchmal ein wenig Mühe, doch es bleibt am Schluss mehr hängen als nach dem Konsum vieler gefälliger Geschichten.

Maarten ‘t Hart:

„Der Nachtstimmer“. Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens. Piper, München, 320 Seiten; 24 Euro.

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