Es begann mit einer einfachen Holzkonstruktion auf dem Friedhof. Was daraus wurde, ist weltberühmt: ein Spektakel auf modernster Bühne vor 4500 Sitzplätzen. Dazwischen liegen fast 400 Jahre und unzählige Diskussionen über „Bühnenform und Bühnenbild der Passionsspiele“. So der Titel der Ausstellung, die derzeit im Oberammergau Museum läuft.
Was im Titel so trocken klingt, kommt mit einnehmender Pracht daher. Monumentale Kostüme sind der Blickfang, der dazu verleitet, sich in Details zu vertiefen und am Ende zu verstehen, welchen gewaltigen Aufwand, welche fundamentalen Entscheidungen den Ort immer wieder beherrschen, damit er seinem Gelübde treu bleiben kann – und wie viel Elan dahintersteckt.
Bekanntermaßen wurde 1634 erstmals die „Passion“ gespielt, nachdem die Pestepidemie endlich überwunden war. Der einst versprochen Zehn-Jahres-Turnus fiel in unserem Jahrhundert ausgerechnet Corona zum Opfer, die Spiele mussten bekanntlich um zwei Jahre auf 2022 verschoben werden. Freilich kann das die Ausstellung nicht abfangen: Sie ist eher etwas für historisch Interessierte mit ihren 43 Theater-, Bühnen- und Bühnenbildmodellen.
Ausnehmend ruhig ist es gerade in Oberammergau. So muss es auch früher außerhalb der Spielzeiten gewesen sein. Während der Passion erlebte die Gemeinde schon früh einen Gäste-Ansturm. 1820 wird das Stück zum letzten Mal auf dem Friedhof an der Pfarrkirche aufgeführt, damals explodieren die Besucherzahlen und verdoppeln sich auf 19 000 Zuschauer. Das älteste Bühnenmodell von 1815 von Nicolaus Unhoch, nur noch als Nachbau erhalten, imitiert einen Palastbau mit Säulenhallen und Stadttoren zu den Gassen Jerusalems. Kritiker waren begeistert, die Oberammergauer weniger. Dennoch sollte sich die Idee bis zum Ende des Jahrhunderts halten und auf dem neuen, bis heute beibehaltenen Spielplatz durchsetzen.
1890 wagten sich Schnitzschuldirektor Ludwig Lang, Spielleiter Johann Ev. Lang und der renommierte Münchner Theatertechniker Carl Lautenschläger an einen technisch großen Wurf: Standwalzen für den Bühnenbild-Wechsel, eine Flugmaschine für die Ölberg-Szene und eine Neo-Renaissance-Fassade sowie Bühnenbilder basierend auf Fotos aus Jerusalem bildeten den aufwendigen Rahmen für Inszenierungen im großen Hoftheater-Stil, dazu kam bald ein Eisengerüst für die Tribünen.
Doch das war nicht genug. 1929 entwarf Spielleiter Georg Johann Lang wieder alles neu. Die Technik für 42 Bühnenbildwechsel pro Tag war das eine. Noch wichtiger aber waren die strengen Formen, die vom Historisierenden endgültig abwichen und den Weg für moderne Aufführungen ebneten. Die Aquarelle dazu sind reduzierte, intensive Stimmungsbilder, teils surreal anmutend wie die Figuren bei der Geißelung, wie die großen Stoffkreuze oder das rote Höllen-Inferno. Mit der 1930er-Aufführung waren Bühnenlinie und Bautechnik künftig vorgegeben. Veränderungen der Substanz gab es immer wieder, auffallend aber war erst der Umbau von Fassade und Foyer im Jahr 2000.
Vehementer waren seitdem allerdings die Debatten über Text und Erscheinungsbild. Nach diversen Umformulierungen und Schwerpunkt-Setzungen ab 1662 schrieb der Benediktinerpater Ferdinand Rosner 1750 eine „Passio Nova“. Diese Fassung sorgte in den 1970er-Jahren für Zündstoff: Schnitzschuldirektor, Bildhauer und Spielleiter Hans Schwaighofer wollte damit eine radikale Neuerung wagen. Im gemeindlichen Auftrag wurden Probespiele beauftragt. Nach sieben Monaten mit 700 Mitwirkenden fiel das Ergebnis bei der Bürgerbefragung durch und spaltete den Ort. Die zusammen mit der Holzbildhauer-Schule ausgearbeiteten Modelle sowie Filmausschnitte geben davon einen Eindruck.
Spielleiter Christian Stückl und Ausstatter Stefan Hageneier prägten ab 2000 ein neues Bild der Passion. Stückl arbeitete und arbeitet auch weiter an der Textfassung. Seitdem wird kein Aufwand gescheut: Zur Jahrtausendwende waren 600 Maßanfertigungen unter den 2000 Kostümen. Annas Kleidung ganz in Weiß und Kaiphas’ ganz in Blau begeistern mit einem Materialmix aus indischen Stoffen und wuchtigen Filzhüten. 2010 war vor allem geprägt von monochromen, wirkungsstarken „lebenden Bildern“, die in der Ausstellung als Entwürfe beeindrucken. Was uns wohl 2022 erwartet?
Bis 7. November,
Di. bis So. 10 bis 17 Uhr,
Telefon 08822/941 36.