Ein einfacheres Leben hätte er haben können. Wilhelm Raabe war als Metzger mit eigener Wirtschaft sein eigener Herr, aber halt unzufrieden. Weil er Schopenhauer gelesen hat und Adorno. Und eigene Gedichte schrieb, die er später auch vertonte. Mit 27 schmiss er hin, studierte und wurde Philosoph, Sozialpädagoge, Dichter, Sänger, Erscheinung. Es war der steinigere Weg, aber für Raabe eben der richtige.
Bis er sich als Bühnenkünstler etablierte, dauerte es noch, da war er bald 40. Als Tiger Willi eroberte er sich ein treues Publikum mit seiner unverstellten Offenbarung von Gefühlen und Gedanken, die manche befremdete. Grob klang das mitunter, gelegentlich auch ungelenk, aber Raabe war eben kein Wortdrechsler, dem es um den Effekt ging, sondern jemand, der Sprache verwendete, um sich auszudrücken. „Wozu Worte? Genügt es nicht zu schreiben?“, hat er das einmal formuliert.
Drei Jahre nach seinem Tod mit 70 Jahren erinnert das liebevoll aufbereitete Buch „As Leben is a Schindermatz“ an Leben und Werk des Tiger Willi, wobei das kaum zu trennen ist. Was er sagte und sang und tat, das war nicht Ausdruck eines künstlerischen Alter Egos. Im Wortsinne war er ein naiver Künstler. Die Entwicklung vom unglücklichen Buben zum Tiger Willi schildert Raabes Witwe Andrea, der es gelingt, ihren Mann zu würdigen, ohne ihn zu verklären. Das Buch ist ein Kompendium des Tiger-Willi-Universums. Die Texte aller Lieder sind versammelt, dazu gibt es Gedichte und Abbildungen seiner Notizen aus den „Dschungelbüchern“, in denen der Mann in bunte Zeichnungen seine vogelwilden Gedanken notierte.
Das Buch spart auch die letzten, von Alzheimer gezeichneten Lebensjahre nicht aus. „Im Tode blühe ich viel schöner“, dichtete Raabe einmal – der Tod hat ihn obsessiv beschäftigt. Das leicht Morbide, der derbe Witz, das Direkte, all das besticht auch gedruckt. Sätzen wie „Die Angst quält mich, dass meine Kinderseele dem Alter nicht genügt“ merkt man an, dass Raabe hier keine Posen einnimmt oder konstruiert, sondern sich Worte abringt, die ausdrücken, was ihn umtreibt. Tatsächlich sind es die Gedichte, die einen etwas überraschend am nachhaltigsten beeindrucken.
Der Tiger Willi hatte die Gabe, Emotionen universell verständlich zu machen, also im Grunde genau das Gegenteil dessen zu tun, was zeitgenössische Lyrik kennzeichnet. Ein empfehlenswertes Buch für seine Anhänger – es ist ein angemessener Abschiedsgruß.
Andrea Raabe (Hg.):
„Tiger Willi. As Leben is a Schindermatz“.
Allitera Verlag, München, 252 Seiten; 30 Euro.