Wenn Patrick Hahn im September als dann 26-jähriger Orchesterchef in Wuppertal startet, ist er der jüngste Generalmusikdirektor im deutschsprachigen Raum. Doch zuvor stemmt der Österreicher noch eine Uraufführung an der Bayerischen Staatsoper: „Singularity“. Miroslav Srnkas Weltraum-Oper wird am morgigen Samstag im Cuvilliéstheater zum Leben erweckt. Hahn steht am Pult des Klangforums Wien, und acht junge Sängerinnen und Sänger des Opernstudios, für die der Komponist sein Werk maßschneiderte, entführen das Publikum in eine verwirrende, zwischen real und digital changierende (KI-)Welt.
Bis vor zwei, drei Jahren hatte sich Hahn eher wenig mit zeitgenössischer Musik auseinandergesetzt. Doch als er 2019 erstmals vom Klangforum Wien engagiert wurde und mit diesem Spezialisten-Ensemble arbeiten durfte, fing er Feuer: „Es war für mich ein ganz anderer Prozess mit ungewohnt langer Probenzeit und einem geradezu demokratischen Miteinander beim Entdecken und Entwickeln der neuen Werke.“
Als noch in der Vor-Corona-Zeit klar war, dass das Staatsorchester die Srnka-Uraufführung wegen seiner anderen Verpflichtungen nicht übernehmen kann, empfahl Hahn das Klangforum Wien. Nun werden also 13 Solistinnen und Solisten – wegen der Corona-Abstände musste Srnka seine Partitur eindampfen – im Graben sitzen und die Klänge des in München gut bekannten Komponisten präsentieren. Srnkas Musiktheater „Make no Noise“ wurde während der Opernfestspiele 2011 im Pavillon auf dem Marstall uraufgeführt, seine Oper „South Pole“ erlebte ihre erfolgreiche Uraufführung 2016 auf der Bühne des Nationaltheaters.
Hahn zeigt sich begeistert von den Mitgliedern des Opernstudios. „Sie haben sich mit enormer Hingabe und Ausdauer auf alle Verrücktheiten dieser Partitur eingelassen, auf das Bruchstückhafte, die Wortfetzen, die Kurzatmigkeit dieser Emoji- und SMS-Konversation. Das ist schon großartig. Es gibt keinen Raum für Fehler. Wenn einer passiert, reißt die ganze Kette.“
Für Hahn ist die Arbeit an der Bayerischen Staatsoper eine Rückkehr, 2017 debütierte er hier als Dirigent der Kinderoper „Kannst du pfeifen, Johanna“. Eigentlich hatte er, der an der Grazer Hochschule zunächst im Fach Klavier, dann in Dirigieren ausgebildet wurde, nicht vor, die Ochsentour an Opernhäusern zu absolvieren. Doch gegen Ende des Studiums dachte er an „ein Jahr im Unterbau eines guten Hauses“ und bewarb sich auf eine Repetitorenstelle an der Bayerischen Staatsoper.
Hahn spielte Generalmusikdirektor Kirill Petrenko vor und wurde – da er ja eigentlich dirigieren wollte – mit der Kinderoper betraut. Wenig später avancierte er zu Petrenkos Assistent und studierte „Salome“ und „Die tote Stadt“ ein. Auch bei den Münchner Symphonieorchestern hat der Steirer seine Visitenkarte schon abgegeben: 2018 gastierte Hahn erstmals bei den Philharmonikern, wo er jetzt, kurz vor Wiedereröffnung des Gasteig mit Publikum, erneut dirigierte – allerdings nur für den Stream, der vom 12. bis 17. Juli abrufbar ist. Beim BR-Symphonieorchester debütierte er 2020, zuvor stand er bereits mehrmals am Pult des Rundfunkorchesters sowie des BR-Chores. „München ist meine zweite musikalische Heimat.“
Hahn freut sich nun auf seine erste Chef-Position. „Wuppertal hat eine grandiose Stadthalle und ein tolles Orchester. Dieses hat Spitzenniveau, wird aber in der Nachbarschaft zu Köln und Düsseldorf mit den höher budgetierten Ensembles leider nicht entsprechend wahrgenommen.“ Die Wuppertaler Musikerinnen und Musiker fragten Hahn schon nach der Generalprobe seines ersten Konzerts im Januar 2020, ob er ihr neuer Chef werden wolle. Eine Riesenüberraschung.
Als GMD will er sich nicht nur auf die Wiener Klassik oder die romantischen Schwergewichte stützen, sondern dort auch eher wenig beheimatetes Repertoire pflegen. Neben Werken von Bernd Alois Zimmermann und Alfred Schnittke möchte er einen Charles-Ives-Schwerpunkt setzen. Und dabei, wie auch schon im Eröffnungskonzert am 1. September, mit Star-Solisten punkten: Zum Start wird Marlis Petersen „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauss singen. Thomas Hampson wird im Ives-Konzert als Liedinterpret dabei sein.
Gelegentlich wird es Hahn von der Wupper an den Bosporus ziehen. In Istanbul erkor ihn das Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra zum Ersten Gastdirigenten. Bei diesem Ensemble handelt es sich um „das beste und größte Symphonieorchester der Türkei“. Dieses werde privat finanziert, von einem Stahlkonzern. Dieser ermöglicht Hahn auch großkalibrige Symphonien.
Gelegentlich taucht der Dirigent übrigens abseits der großen Orchester auf der Brettl-Bühne auf. Während einer Chor-Freizeit hörte der Bub aus der Steiermark zum ersten Mal die Chansons von Georg Kreisler. Es war Liebe auf den ersten Ton, die ihn bis heute begleitet und gelegentlich in die Fußstapfen des genial-bösartigen Wieners treten lässt. Im Juni 2022 wird Patrick Hahn im Wiener Konzerthaus daher dessen Aufruf folgen: „Geh ma Tauben vergiften im Park“.
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