Anfang der Sechzigerjahre entschied das Erzbistum Köln, im Wallfahrtsort Neviges bei Düsseldorf einen neuen Pilgerdom zu bauen. Erzbischof Josef Frings – legendär, weil er den Kölnern kurz nach dem Krieg das Klauen von Nahrung und Kohle erlaubt hatte – war schon fast blind und konnte die Entwürfe deshalb nur noch eingeschränkt wahrnehmen. Ein Modell allerdings faszinierte ihn: Er tastete es ab, und es fühlte sich an wie ein zerklüftetes, schroffes Gebirge. Dieser Entwurf musste es sein!
Heute pilgern zwar weniger Gläubige nach Neviges als in den Sechzigern, aber umso mehr Architekten. Denn der Wallfahrtsdom des Gottfried Böhm, den bei seiner Einweihung viele als Zumutung empfanden, gilt längst als Offenbarung. Nun ist Böhm im Alter von 101 Jahren gestorben.
Böhm, der in Offenbach geboren wurde und in Köln aufwuchs, war der Sohn des Architekten Dominikus Böhm (1880-1955). Dieser machte sich einen Namen als Kirchenbauer, und Gottfried trat in seine Fußstapfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Gotteshäuser in Deutschland zerstört, gleichzeitig wuchs die Mitgliederzahl der beiden großen Kirchen stark, und Geld war bald reichlich vorhanden. Gottfried Böhm schuf mehr als 50 sakrale Bauten. Nicht alle sind so wuchtig wie Neviges, er konnte auch ganz leichte, helle Räume schaffen. Ein Beispiel dafür ist die Klosterkirche Zu Unserer Lieben Frau in Oberhausen, die im Inneren an das Bundeszelt aus dem Alten Testament erinnert: ein transportables Heiligtum, das das Volk Israel nach seiner Befreiung aus Ägypten auf dem Weg durch die Wüste immer wieder neu aufbauen konnte. Böhms bedeutendster Profanbau ist das Rathaus von Bensberg bei Köln. Auch wieder ein Berg aus Beton, den der Architekt brutal auf die Reste einer mittelalterlichen Burganlage setzte.
Böhm hat fast nur in Deutschland gebaut, aber er wurde international wahrgenommen. So erhielt er 1986 als erster Deutscher den Pritzkerpreis, der als die weltweit wichtigste Architekturauszeichnung gilt.