Zwar hat keiner der drei Männer am Dienstagabend den Vergleich herangezogen – doch mag es sein, dass sie sich mitunter fühlen wie Sisyphos: Wieder und wieder gilt es, den Felsblock einen Berg hinaufzuwuchten. „Man ist mit der Geschichte nie am Ende“, sagt Christian Stückl, Spielleiter der Oberammergauer Passion und Intendant des Münchner Volkstheaters: „In unseren christlichen Köpfen sind noch wahnsinnig viele falsche Bilder drin. Die muss man rauskriegen – da kannst du ewig arbeiten.“
„Herausforderung Antisemitismus“ lautet der Untertitel der Podiumsdiskussion im Volkstheater, bei der es vor allem um das Oberammergauer Passionsspiel geht. Das klingt schwer – doch gelingt es Stückl, Rabbiner Walter Homolka und Ludwig Spaenle, der sich im Auftrag der Staatsregierung für die Förderung jüdischen Lebens in Bayern und gegen Antisemitismus einsetzt, eine Debatte zu führen, die erhellend und kurzweilig ist. Geprägt sind die von Susanne Hornberger umsichtig moderierten 80 Minuten dabei von Tugenden, die heute bei öffentlichen Gesprächsrunden oft als vermisst gemeldet werden: Respekt, einander zuhören und ausreden lassen sowie die grundsätzliche Neugierde auf die Meinung des Gegenübers.
Doch lassen sich von der Historie des Spiels in Oberammergau und Stückls Kampf gegen Antisemitismus im Text und auf der Bühne des Passionstheaters überhaupt Rückschlüsse ziehen auf den gesellschaftlichen Umgang mit Judenhass? CSU-Politiker Spaenle ist überzeugt: Die Passion habe eine „Brennglasfunktion“ für das Verhältnis der Religionen: „Vieles, was in der Republik totgeschwiegen wurde, wurde in Oberammergau stellvertretend verhandelt.“
Was er meint, wird spätestens klar, als Stückl erzählt, wie schwer ihm – von Kirche und Teilen des Dorfes – die kritische Auseinandersetzung mit dem Stoff gemacht wurde, als er 1987 Spielleiter wurde: „Wir mussten selbst erst mal begreifen, was da alles falsch war. Zu verstehen, dass Jesus vom ersten bis zum letzten Tag Jude war – das war schwierig.“
Doch haben sich Auseinandersetzung und Streit gelohnt. Das bestätigt Rabbiner Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, das Stückl im vergangenen Jahr für sein Engagement geehrt hat: „Heute ist die Passion ein Stück, bei dem du als Jude drinsitzen und sagen kannst: Da geht es um meine Geschichte, um eine große jüdische Persönlichkeit.“ Wenn man diesen Text, der jahrhundertelang „Propagandawerkzeug der katholischen Kirche“ (Stückl) gewesen sei, innerhalb von 30 Jahren ändern kann – dann „geht viel im Kampf gegen Antisemitismus“. Und diese Feststellung zeigt, dass die drei Männer auf der Bühne sehr viel weniger mit Sisyphos gemein haben als vielleicht vermutet.