Konstantin Wecker wirkt sehr aufgeräumt im Gespräch. Endlich wieder live spielen wolle er, passend dazu hat er neue Lieder im Gepäck, die heute auf dem Album „Utopia“ erscheinen (siehe Kurzkritik). Immer noch kann sich der Mann wunderbar aufregen über Kultur-Ignoranten, Neonazis oder Corona-Leugner. Zwischendrin lacht der 74-Jährige aber auch immer mal wieder über sich selbst. Wecker bleibt Wecker, das schon – aber altersweise Selbstironie mildert die Wut. Ein wenig.
Gemeinhin entwickeln sich Menschen im Alter wahlweise zu gelasseneren Beobachtern des Treibens oder zu Nervensägen, die der Jugend Ratschläge erteilen. In welche Richtung geht es bei Ihnen?
Mir ist vor zehn Jahren ein Lied passiert. Ich drücke das bewusst so aus, denn ich habe keinen Zugriff darauf, wann es passiert und wie. Das Lied heißt „Wut und Zärtlichkeit“. Die Wut muss man sich erhalten. Sie treibt einen dazu an, die Dinge verändern zu wollen. Ohne Wut gibt es keine politische Arbeit. Aber handeln muss man immer aus Liebe, das ist mir wichtig.
Auch auf Ihrer neuen Platte gibt es das, was man gemeinhin „Protestlieder“ nennt. Gibt es heute mehr oder weniger Anlass zu Protest im Vergleich zu Ihren Anfängen vor 50 Jahren?
Vor fast 50 Jahren habe den „Willy“ geschrieben, in dem es um den Kampf gegen Nazis ging. Und damals hatten wir in Deutschland nicht annähernd das Neonaziproblem, das wir heute sehen. Rein rational ist dem schwer beizukommen, die Thesen der Nazis hat man ja schnell widerlegt. Faschismus nährt sich aus Mythen. Und momentan geschieht – weltweit übrigens – viel an Mythenbildung, das empfinde ich als außerordentlich bedrohlich. Das bewegt mich gerade und ich beschäftige mich wieder sehr intensiv mit diesem Thema.
Sie haben für „Utopia“ eine neue Version des „Willy“ aufgenommen – was hat Sie dazu bewogen?
Tatsächlich, dass einer der Ermordeten beim rechten Terroranschlag in Hanau ein Willy war. Er schrieb sich Villi, weil er aus Rumänien stammte, aber die Tatsache, dass ein Neonazi einen Mann namens Villi ermordet, das hat mich angepackt. Und der „Willy“ ist ohnehin ein „Talking Blues“, den man anpassen kann und dann auf Bairisch die Dinge anspricht, die einen umtreiben. Mir war es sehr wichtig, hier mit der Idee der Utopie zu enden. Ich wollte mit dem Titel „Utopie“ ja schon auf Tour, bevor ich die neuen Lieder aufgenommen hatte. Durch Corona hatte ich nun die Gelegenheit, diese Platte zu machen mit dem entsprechenden Titellied.
Wie geht man nach einem halben Jahrhundert im Musikgeschäft und nach 600 Liedern mit dem Druck um, immer wieder Neues schaffen zu wollen?
Na ja, es gibt halt keine Gewähr. Ich vertone ja ganz klassisch meine Gedichte, die kommen immer zuerst. Wenn ich mich ans Klavier setze, passiert fast immer etwas. Dieter Hildebrandt hat mich mal einen „Melodien-Scheißer“ genannt, in der Hinsicht habe ich wohl einfach Glück. Bei den Gedichten ist das anders, diesmal habe ich sechs Jahre warten müssen, bis ich wieder meine Texte beisammen hatte. Es dauert eben. Als ich jünger war, ging es zugegebenermaßen oft schneller. Mal sehen, wie lange ich auf die Texte für die nächste Platte warten muss.
Wie schwer ist es Ihnen als Bühnentier gefallen, ein Jahr lang nicht auftreten zu können?
Das war schon eine Seelenqual. Mir fehlt die geistige Umarmung des Publikums. Diese Intensität, wenn Hunderte von Menschen dieselbe Sehnsucht haben, die vermisse ich. Das Schöne an Kultur ist doch: Man entdeckt, dass man nicht alleine ist, dass es andere gibt, die Sehnsüchte und Gedanken teilen. Nicht nur der Künstler fühlt sich umarmt, sondern auch das Publikum – und das gibt Kraft. Kunst macht Mut und das ist wichtig, denn ohne Mut geht es nicht.
Es gab von Kulturschaffenden zuletzt oft die Klage, dass es keine Wertschätzung gebe.
Man konnte den Eindruck gewinnen, Kultur ist so etwas wie Fitness oder Kegeln: eine nette Freizeitbeschäftigung, aber nicht wirklich wichtig. Dabei brauchen wir sie dringend. Es kann auch sein, dass es vielen Politikern ganz recht ist, wenn die unbequeme Subkultur stumm bleiben muss. Ich habe den Verdacht, viele in der Politik sind eher kulturlose Wesen.
Immer wieder fordern Sie dazu auf, Gehorsam zu verweigern. Nun gibt es seit der Pandemie die sogenannten Querdenker, die bewusst Regeln brechen und Sie auch zu ihren Demonstrationen eingeladen haben.
Um das ganz klar zu sagen: Ich gehe als überzeugter Antifaschist auf gar keinen Fall irgendwohin, wo sich Rechte tummeln. Und sollte irgendjemand auf die Idee kommen, bei solchen Veranstaltungen meine Lieder zu spielen, schalte ich einen Anwalt ein. Es geht mir um strukturellen Gehorsam, also das blinde Unterwerfen. Ich bringe doch meinen Kindern auch nicht bei, bei Rot über die Ampel zu gehen, einfach nur um Regeln zu brechen. Ich sehe ein, dass diese Regel sinnvoll ist, und das erkläre ich dann auch meinen Kindern. Das ist etwas anderes als Verbrechern zu gehorchen. Und genau so hat es einen Sinn, für einen vorübergehenden Zeitraum eine Maske zu tragen, um andere Menschen zu schützen. Ich weiß nicht, was daran so schwer zu verstehen ist. Wer auf „Querdenker“-Demos geht, macht die Arbeit der Rechten. Die können doch ihr Glück gar nicht fassen!
Seit einiger Zeit sind Sie ein Verfechter von Frauenrechten und fordern das Ende des Patriarchats. Wann haben Sie sich vom Macho zum Feministen gewandelt?
Da haben mir letztlich meine Gedichte geholfen, die waren oft klüger als ich. Als junger Macho habe ich zarte Liebeslieder geschrieben, und diese Spannung hat etwas ausgelöst, oft auch durch Frauen, die diesen Widerspruch erkannt haben. Und natürlich spielt die Geburt meiner Kinder eine große Rolle. Meine Söhne sind mit großer Selbstverständlichkeit so ganz anders, als ich es als junger Mann war, das ist sehr spannend zu sehen. Die Achtundsechziger waren bei allen wichtigen Verdiensten natürlich ein Macho-Ding. Und es ist doch so: Seit Jahrtausenden werden wir von psychopathischen Männern beherrscht, und es hat nicht so toll funktioniert. Das muss sich radikal ändern. Bei den jungen Menschen kann ich das schon beobachten – die gehen erkennbar anders miteinander um.
Kann es sein, dass sich die veränderte Haltung auch im Gesang ausdrückt?
Das kann ich nicht entscheiden. Ich weiß nur: Beim Singen und Schreiben war ich immer ehrlich.
Wenn Sie in jüngster Zeit als Schauspieler agieren, dann fast immer als Unsympath. Ist das Absicht?
Mein Gott, diese Rollen sind eben spannender. Bei „Wunderkinder“ hat das auch etwas in mir ausgelöst. Ich habe gemerkt: Wenn ich die Uniform eines SS-Mannes anziehe, werde ich tatsächlich zum SS-Mann, und dafür habe ich mich geschämt. Ich musste daran denken, wie mir ein Holocaust-Überlebender einmal gesagt hat, niemand habe das Recht, sich Antifaschist zu nennen, der den eigenen Faschisten in sich nicht erkennt und bekämpft. Der steckt in uns allen, das ist eine Aufgabe für jeden von uns.
Das Gespräch führte Zoran Gojic.