Rund 170 Konzerte hat die Münchner Unterfahrt im Lockdown live gestreamt. Für diese wichtige Vermittlungsleistung an der Schnittstelle zwischen drohendem Kreativitätsprekariat und einem sich nach der Erfahrung des Live-Erlebnisses sehnenden Publikum gab es kürzlich beim Deutschen Jazzpreis den Sonderpreis der Jury. Nun darf wieder eine begrenzte Zahl von Musikliebhabern in (nicht nur) Münchens führendem Jazzclub Augen- und Ohrenzeuge künstlerischer Prozesse werden. Und fulminanter als mit dem Vincent Meissner Trio hätte der Neustart kaum ausfallen können.
Der gerade 21-jährige Pianist aus Leipzig und seine gleichaltrigen Mitstreiter Josef Zeimetz (Kontrabass) und Henri Reichmann (Drums) führen mit einer Mischung aus erwartbarem Elan und verblüffender Reife vor, dass man auch in einer so inflationären Instrumentenkonstellation wie dieser noch originelle Formulierungen finden, raffinierte Szenarien entwerfen und überraschende Geschichten erzählen kann. Jede Komposition basiert auf einer Idee, die variiert, aber nie ausgewalzt wird, eher schon auf erstaunliche Weise mit einem neuen Motiv verknüpft wird. Schnitt, neues Stück, nächster Einfall.
Das ist komplex, ohne überladen zu sein, melodisch, ohne sich einzuschmeicheln, durchdacht, ohne verkopft zu werden. Dieser mal wuselig treibende, mal konzentriert suchende Gegenwartsjazz wäre, so viel ist sicher, auch von doppelt so alten Musikern hörens- und bemerkenswert. Fünf Tage nach dem EM-Finale steht auch das Vincent Meissner Trio im Finale: Dann geht es in der Unterfahrt um den „Jungen Münchner Jazzpreis“. Nach dieser beeindruckenden Vorstellung sehen wir die bestens eingespielte Dreierkette in der Favoritenrolle.