München, heute gerne als reaktionäres Nest, Millionen-Dorf oder Spießer-Kaff ohne jede Subkultur verunglimpft, wirkte früher ganz anders. Vor 120 Jahren war die Stadt Deutschlands unangefochtene Hochburg der Frauenbewegung. Jessica Glause, deren Arbeiten in München bereits am Volkstheater, an der Staatsoper und an den Kammerspielen zu sehen waren und die mit ihrer Sibylle- Berg-Inszenierung „Und jetzt: die Welt“ 2015 den „Radikal jung“-Publikumspreis gewann, arbeitet gerne mit dokumentarischem Material. Das fügt sie in unterschiedlichen Versatzstücken zu einem kompakten, immer organischen und klug durchdachten Ganzen zusammen. Jetzt stehen für die Kammerspiele die „Bayerischen Suffragetten“ an; Premiere ist am Sonntag.
Auf die Idee, den energischen Kämpferinnen für Frauenrechte ein Denkmal auf der Bühne zu setzen, kam sie nach der Geburt ihres Sohnes vor zwei Jahren. „Während der Stillzeit dachte ich mir: Das kann doch nicht wahr sein, wie schnell man sich auf diese Fünfzigerjahre-Hausfrauen-Bilder zurückgeworfen fühlt!“ In langen Nächten beginnt sie mit der Recherche nach den emanzipatorischen Vorbildern ihrer Wahlheimat. Über einen Zeitungsartikel zu Briefen der Münchner Frauenrechtlerin Emma Merk-Haushofer gelangt Glause schnell zu Anita Augspurg und zur sehr progressiven Münchner Frauenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. Dazu zählte auch Sophia Goudstikker, mit der sie 1887 das Fotoatelier Elvira in der Von-der-Tann-Straße eröffnet, schräg gegenüber des Prinz-Carl-Palais. Später wird Ika Freudenberg in das Fotostudio mit der auffälligen Jugendstil-Drachendekoration dazukommen.
Die drei sind die mutigsten und radikalsten Vertreterinnen ihrer Interessen, deshalb werden sie für die Bewegung zum Dreh- und Angelpunkt. „Sie laufen in Männerhosen herum, tragen kurze Haare, reiten im Herrensitz durch den Englischen Garten“, beschreibt sie Glause. „Sie machen alles, was sonst nur den Männern vorbehalten ist.“ Die selbstbewussten Künstlerinnen spezialisieren sich auf Fotografien von Frauen und Kindern, und schnell wird ihr Atelier zum Treffpunkt Gleichgesinnter. Eine vielfältige Gruppe entsteht, die allerdings mit der Jahrhundertwende allmählich in zahlreiche Partikularinteressen zerfasert. Die Nationalsozialisten erstickten jede noch vorhandene Emanzipation und verbannten die Frauen hinter den Herd, wo sie sich erst nach Jahrzehnten mühselig wieder hervorkämpften.
Viele Informationen spürte Jessica Glause in der Monacensia auf, die zu diesem Thema eine Ausstellung mit dem Titel „Evas Töchter“ kuratiert hatte. „Alle diese Bilder und Mini-Informationsstücke haben mich inspiriert, und ich dachte mir, das muss doch jetzt und genau in dieser Stadt erzählt werden. Gerade angesichts der Verhandlung von Gender Roles und den Fragen, wie eigentlich Gleichberechtigung stattfindet“, erklärt die Regisseurin. „Man hat heute oft das Gefühl, die Kämpfe müssten immer wieder von Neuem begonnen werden und es gebe gar kein historisches Erbe der Frauenbewegung. Doch das stimmt nicht. Man muss nur die Kontinuität mehr betonen, die Traditionen deutlicher herausarbeiten, in denen wir alle stehen.“
Historikerinnen und Literaturwissenschaftlerinnen haben bereits zu diesem Aspekt geforscht. Glause hat das vorhandene Material gesammelt, gesichtet und daraus einen ganz besonderen Abend für die Kammerspiele geschrieben. „Bayerische Suffragetten“ verbindet die Bedeutung der mutigen Frauen von damals mit der Gegenwart. „Aktive Erinnerungsarbeit“ möchte Glause anregen. Sie will möglichst vielen Menschen vermitteln, „dass es diese Frauen und diese politische Richtung in der Stadt gab. Dass München mehr ist als die Hauptstadt der Bewegung und die Räterepublik. Eben eine Stadt, die von Frauen gestaltet und geprägt wurde. Dass hier Frauen angefangen haben, für die Rechte anderer und ihre eigenen einzutreten.“
Klingt ein bisschen nach faktenlastigem Schulfernsehen auf der Bühne. Doch Jessica Glause beruhigt sofort: „Gerade gestern habe ich mir bei der Probe gedacht, dass es vielleicht sogar zu unterhaltsam wird.“ Die erste Textfassung war noch zu umfangreich. „Aber in den Proben mit den Schauspielern haben wir uns dann gemeinsam eine Fassung angeeignet. Die historischen Schritte tauchen jetzt nur noch in Schlaglichtern auf. Dafür gibt es sehr poetische und humorvolle Momente, und unsere Musikerin Eva Jantschitsch hat pointierte, zeitgenössische Pop-Songs geschrieben.“
Premiere
am Sonntag, 19.30 Uhr; Telefon 089/23 39 66 00.