200 Jahre ist es her, dass sich die Griechen von der osmanischen Besatzungsmacht befreien konnten. Die Ausrufung der Unabhängigkeit war am 25. März 1821. Das feiert Griechenland heuer (wir berichteten) das Jahr über – und global: Griechen, verstreut auf der ganzen Welt, sollen teilhaben. So könne es sein, dass eine Griechin in Australien einen Film über den Münchner Königsplatz zu sehen bekommt, erzählt Florian Knauß. Als Chef von Glyptothek und Antikensammlungen ist er sozusagen der Statthalter von „Isar-Athen“. Das bedeutet für die Griechen, er pflegt nicht nur im Museum die Kunst der Alten, sondern er pflegt außen durch die Gebäude das Gedenken an die Liebe Bayerns zu Griechenland – und das bayerische Gedenken an den Freiheitskampf der Hellenen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
„Das größte Monument für die Unabhängigkeit“ stehe am Königsplatz, so Knauß. Das ist nicht die Glyptothek, das sind die Propyläen (erbaut 1854-1862). Sie wurden von Leo von Klenze im Sinne Ludwigs I. als (Stadt-)Tor-Anlage inszeniert. Dahinter begann der „Fürstenweg“ nach Nymphenburg. Dass dieser Platz und seine Gebäude, die der altgriechischen Baukunst huldigen, der Kern und das grandioseste Exponat der Ausstellung „Hellas in München – 200 Jahre bayerisch-griechische Freundschaft“ sind, ist klar. Momentan ist der Eindruck allerdings durch die räudigen Wiesenflächen und die Bühnenprovisorien („Bayern spielt“) zerstört. Das Gesamtkunstwerk Königsplatz ist durch dauernde Übernutzung ohnehin kaum mehr erkennbar.
Wer also nicht mehr nur im Vorbeifahren ein schönes Ding wahrnehmen, sondern die Propyläen und ihr Bildprogramm genauer anschauen möchte, braucht derzeit gute Nerven – und einen Feldstecher. Im Giebel Richtung Neuhausen steht im Zentrum die Hellas, Personifizierung Griechenlands. Rechts und links von ihr wird zu Wasser und zu Lande gekämpft; deswegen sind hier Meeresgott Poseidon und Erdgöttin Gaia aktiv. Vom Platz aus gesehen, sitzt König Otto I. von Griechenland in der Mitte. Der zweite Sohn Ludwigs I. regierte ab 1832 zusammen mit einem Regentschaftsrat – Otto war 17 – das neu gegründete Hellas. Im Giebel wird mit Symbolfiguren gezeigt, wie Wissenschaft, (griechisch-orthodoxe) Religion und Handel, Ackerbau und Kunst, Architektur, Schiffsbau und die junge Wissenschaft Archäologie unter seiner Ägide aufblühen. Neben diesen Vollplastiken entdecken wir auf den Propyläen außerdem Reliefs. Auch sie thematisieren Kampf; inklusive den Bruderkrieg der Freiheitshelden, den schließlich die Monarchie besänftigt.
Diese Konzeption ist keine historisch-kritische Sicht auf die Tatsachen. Künstlerisch werden die Freiheitsrechte Griechenlands betont, zugleich werden Königtum und die Anwesenheit des Wittelsbachers in Hellas legitimiert. Das manifestieren die dominanten Giebel-Figuren am Königsplatz. An der Glyptothek, dem ältesten Bau hier, ist es Göttin Athena (als Beschützerin der handwerklichen Arbeit). Ihr gleichgesetzt wird an den Antikensammlungen die Bavaria. Auf den Propyläen entsprechen ihnen Hellas und Otto. Alle vier stehen für Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und Wohlstand.
Das arbeitet Kuratorin Astrid Fendt in der Kabinettausstellung „Hellas in München“ in den Erklärtexten wie in den Exponaten heraus. Es geht um Herzblut. Das damalige Feuer der Philhellenen hat nichts mit klügelnder Ratio zu tun. Deswegen stürzten sich viele europäische Intellektuelle – und Ludwig I. als einziger Herrscher – in die Unterstützung einer eigentlich aussichtslosen Angelegenheit. Die Großmächte Russland, England und Frankreich blieben distanziert, führten dann doch die Entscheidung herbei. Und das kleine, harmlose Bayern war gerade recht, im zerstrittenen Griechenland für Ordnung zu sorgen.
Das Herzblut pulsiert noch immer, was die Unterstützung der Stiftung Palladion, des Griechischen Generalkonsulats in München und des Otto-König-von-Griechenland-Museums in Ottobrunn für die Exposition beweist. In dem Ort vor den Toren Münchens gibt es übrigens mit der Ottosäule ein erstes rührendes Denkmal. Stolz und Wehmut sprechen daraus. Hier verabschiedete sich König Ludwig von seinem Sohn Otto, der über Italien nach Griechenland reiste. Mama Therese sagte in Bad Aibling Ade; dort gibt es das neugotische Theresienmonument. Und in Kiefersfelden verließ Otto bayerisches Territorium; da findet sich die ebenfalls neugotische König-Otto-Kapelle.
Nach Hellas brachten Otto, seine Frau Amalie und die bayerischen Getreuen „eine funktionierende Zivilverwaltung“, erklärt Florian Knauß, „eleganten Klassizismus und das Reinheitsgebot“. Athen, eine verrottete Ortschaft, wurde in eine Hauptstadt verwandelt. Otto akzeptierte 1843 die konstitutionelle Monarchie. Als 1862 erneut Aufstände ausbrachen, verließen Amalie und er Hellas Richtung Bayern, wo sie in Bamberg lebten. Der verlorenen Heimat blieb Otto im Herzen treu: Er sprach jeden Tag im Exil auch Griechisch.
Den Besuchern begegnen die Wittelsbacher Philhellenen Ludwig I., Otto und Amalie in den Antikensammlungen in Büsten und auf Gemälden; genauso die „Macher“ Architekt Klenze und der Altphilologe Friedrich Wilhelm von Thiersch. Er engagierte sich nicht nur für eine ferne Antike, sondern ganz praktisch für griechische Kinder und ihre Bildung. So entstand zum Beispiel das Griechische Lyzeum unweit des Königsplatzes. Er gilt als „Vater der humanistischen Bildung“ in Bayern.
Von diversen philhellenischen „Reliquien“ in den Antikensammlungen wechselt die Besucherin in die Glyptothek. Dort hat Astrid Fendt mit einigen Kohlezeichnungen und 40 Ölskizzen versucht, einen Zyklus von Peter von Hess zu rekonstruieren. Der Maler schilderte mit seinen heute zerstörten Wandgemälden in den Hofgartenarkaden den Freiheitskampf der Griechen auf seine Weise: am Beispiel namentlich bekannter Persönlichkeiten. Darunter „Bouboulina“, die reiche Witwe Laskarina Boubouli, die Schiffe gegen die Osmanen ausstattete – und erfolgreich befehligte.
Bis 19. September,
Di.-So. 10-17 Uhr; Telefon 089/59 98 88 30; Infos unter www.antike-am-koenigsplatz.mwn.de; zum Königsplatz gibt es eine kostenlose Broschüre.