„Die Hüttn brennt“

von Redaktion

PREMIERENKRITIK  Achternbuschs „Herz aus Glas“ als surreale Sprech-Oper

VON ALEXANDER ALTMANN

In Bayern gehen die Uhren eben anders. Darum drehen sich die Zeiger an der großen Uhr, die Bühnenbildnerin Marlene Lockemann in ihr Kulissenhäuschen eingebaut hat, auf einmal in die Gegenrichtung. Aber auch sonst ist manches hübsch verrückt oder verkehrt an diesem Abend: Ein Riesenhirn mit Badelatschen an den Füßen, die unten rausschauen, spaziert über die Bühne. Die Darsteller tragen teils turmhohe Allonge-Perücken aus dem Rokoko, und zwischendurch vertauschen sie ihre schmutzigen Schlaf- oder Jogginganzüge gegen Dirndl, die im Dunkeln grellorange fluoreszieren. Und dass die Insassen dieses Albtraums „vom Woid dahoam“ sind, sieht man schon an der holzigen Bretterwand-Optik des Fabrikgebäudes, das als eindrucksvolles Bühnenbild fungiert: Wenn die Rustikal-Fassade runterkippt, sieht man dahinter ein leuchtendes Gerüst in Neonblau.

Jedenfalls haben sie alle einen Sprung in der Schüssel, diese Gestalten aus Herbert Achternbuschs Drehbuch „Herz aus Glas“, dessen Bühnenadaption jetzt im Marstall des Münchner Residenztheaters ihre Uraufführung erlebte. Fast ein halbes Jahrhundert nach der Entstehung des Textes und des gleichnamigen Films, den nicht Achternbusch selbst, sondern Werner Herzog 1976 drehte. Der junge Sepp Bierbichler spielt darin den seherisch begabten Kuhhirten Hias, der an die Gestalt des „Waldpropheten“ Mühlhiasl angelehnt ist und jedenfalls dessen Prophezeiungen von sich gibt. Sätze wie, „Vieles geschieht, nur der Regen fließt niemals nach oben“ , die auch nicht schlechter sind als irgendwelche Klima-Modelle von heute. Vor allem fasziniert der Film aber auch durch ungeheuer suggestive, oft an Gemälde erinnernde Bilder und seine atmosphärische Magie, die fast schon beängstigend eindringlich den Sog eines kollektiven Wahns spürbar macht.

Dass Regisseurin Elsa-Sophie Jach diesen emotionsgeladenen Überwältigungsstil nicht auf die Bühne kopieren wollte, ist klar. Sie distanziert sich ganz bewusst davon, indem sie auf artifizielle Stilisierung setzt und dabei hauptsächlich musikalische Elemente betont: Dialoge spielen nur eine untergeordnete Rolle, im Mittelpunkt steht vielmehr der oft chorische Vortrag von Achternbuschs Szenenbeschreibungen. Mal wird die Prosa dabei widerborstig, ja gewollt sinnwidrig rhythmisiert  und so quasi in kantige Verse zerspellt; dann wieder kommt sie als harmonisch-liturgischer Gesang daher und macht die Aufführung zum kunstvoll leiernden Oratorium.

Das ist im Prinzip genau der richtige Ansatz, wirkt aber auf Dauer noch ein klein wenig zu übergestülpt, zu sehr wie ein kluges Dramaturgen-Konzept. Da ist noch zu viel gravitätischer Ernst im Spiel, und darum erweisen sich als eigentliche Höhepunkte dieser surrealen Sprechoper die kurzen Momente ironischer Brechung, die leider sehr selten sind. Einmal greifen zwei Darsteller zum Mikrofon und geben ganz entertainermäßig eine poppige Gesangseinlage zum Besten. Ein andermal verkündet Pia Händler, die den Hias spielt, als polyglotte Unglücksbotin mit Zöpfen: „I’m here to say: die Hüttn brennt“. Dass diese Greta-Thunberg-Parodie den Mühlhiasl mit den Apokalyptikern der Gegenwart kurzschließt, erzeugt einen erhellenden Blitz. Stecken in den Hysterien unserer Tage nicht die archaischen Muster aus Mythos und Wahn? Ist es nicht glasklar, dass hinter solchen Regressionen letztlich handfeste ökonomische Ursachen stehen? Begeisterter Beifall.

Weitere Aufführungen

am 16., 25. und 29. Juli; Karten unter www.residenztheater.de/karten.

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