Einen Schwan gibt es heutzutage selten in Produktionen von Wagners „Lohengrin“. Dafür scheinen Regisseurinnen und Regisseure den magischen Momenten mindestens ebenso zu misstrauen wie dem gottgesandten Führer, der hier zur Rettung einer ganzen Nation eilen soll. Da macht auch Katharina Thoma keine Ausnahme, deren Inszenierung nun bei den Tiroler Festspielen in Erl Premiere feierte. Sie siedelt die Handlung in einem diffusen Niemandsland an, in dem archaische Autoritätsfiguren wie der König und sein Heerrufer einem Gemälde von Hieronymus Bosch entsprungen scheinen, während Kostümbildnerin Irina Bartles das Volk im Business-Outfit oder ortsüblichen Trachten auftreten lässt.
Entzaubert wird auch der Titelheld selbst, der im Glitzerrevers-Anzug mit goldenen Schuhen und verspiegelter Sonnenbrille zur Rettung eilt und statt mit dem Schwert lieber mit dem Bogen seiner weiß lackierten Geige kämpft. Ob es allerdings beabsichtigt war, dass die Vermählung von Lohengrin und Elsa derart nach kitschiger Las-Vegas-Blitzhochzeit aussieht, sei dahingestellt. Ebenso wie manch andere (unfreiwillig) komische Momente. Dass Ortrud beispielsweise zum Finale mit der Kettensäge aufmarschiert, um den paradiesischen Baum zu fällen, unter dem das hohe Paar gerade noch seine Hochzeitsnacht verbrachte, wirkt einfach nur platt und untergräbt beinahe einen der musikalisch stärksten Momente des Abends. Den ließ sich Dshamilja Kaiser jedoch zum Glück nicht nehmen und krönte ihr glanzvolles Rollenporträt mit einem hasserfüllt herausgeschleuderten Fluch.
Kaiser ist zweifellos die treibende Kraft des Abends, die selbst, wenn sie nichts zu singen hat, das Geschehen dank ehrfurchtgebietender Bühnenpräsenz dominiert. Auch nach der Zurechtweisung durch Lohengrin gibt sie keineswegs klein bei, sondern verteidigt erhobenen Hauptes ihre Position. Gefährlich wird diese Ortrud aber besonders in den leisen Momenten. Wenn sie als sanfte Verführerin mit warmem, weich geführtem Mezzo ihre Intrige vorantreibt, ehe die dramatischen Ausbrüche vor dem Münster ihr wahres Gesicht offenbaren. Wobei Christina Nilsson mit ihrem farbenreichen Sopran durchaus Kontra zu geben weiß. Auch sie arbeitet erfolgreich gegen das Klischee an und zeigt eine alles andere als passive Elsa, die im Brautgemach weniger aus Neugier, als aus ehrlich empfundener Angst heraus ihre verhängnisvolle Frage stellt.
Kein leichtes Spiel hat neben diesen starken Frauen der Telramund von Andrew Foster-Williams. Er startet mit leicht belegter Stimme, rettet sich aber mit sicherer Technik durch den Abend. Trotzdem ist der Weg natürlich frei für AJ Glueckert, einen lyrischen Helden, der seine Stimme nie künstlich aufhellen muss und der die dankbare Akustik des Passionsspielhauses für ein nuanciertes Rollenporträt zu nutzen weiß. So präsentiert sich etwa die filigran gestaltete Gralserzählung nicht als überhöhte Wunschkonzertnummer, sondern spiegelt in jedem Takt Lohengrins Trauer und Enttäuschung.
Hiermit liegt der US-Amerikaner auf einer Wellenlänge mit Dirigent Titus Engel, der Wagners Frühwerk nicht unter romantisierendem Ballast erdrückt und das zuverlässige Festspielorchester in bester Erler Tradition mit zügigen Tempi durch die Partitur führt: stets bedacht auf ein transparentes Klangbild, von dem die Stimmen auf der Bühne profitieren – neben den Protagonisten-Paaren auch der tiefschwarz orgelnde König von Andreas Bauer Kanabas und Domen Križaj, der mit jugendlich frischem Bariton einen exzellenten Heerrufer singt.
Weitere Vorstellung
am 31. Juli; Karten unter Telefon 0043/53 73/81 000.
Dshamilja Kaiser ist als Ortrud die treibende Kraft
Titus Engel führt das Orchester zügig durch die Partitur