Überraschendes Finale

von Redaktion

Das Peter Gall Quintett setzt sich beim BMW Jazz Award gegen das Quartett des Geigers Adam Baldych durch

VON REINHOLD UNGER

„The Melody at Night“ lautete das Motto des BMW Welt Jazz Award 2020, der coronabedingt mit mehr als 14 Monaten Verspätung erst jetzt entschieden wurde. Um unter Einhaltung geltender Abstandsregeln möglichst viel Publikum zulassen zu können, war man fürs Finale vom Doppelkegel in die Philharmonie ausgewichen, wo die letzte Veranstaltung vor der Sanierung dann einen durchaus überraschenden Verlauf nahm.

Zunächst spielte das Quartett des polnischen Geigers Adam Baldych eine ganz eigene, unüberhörbar von europäischer Sensibilität geprägte Variante improvisierter Musik: in der Motivik oft folkloristisch, die Rhythmik eher fließend als treibend, melodisch von dezent osteuropäischem Kolorit, sich von fast meditativen Passagen zu romantischem Pathos aufschwingend. So überraschend wie auffällig war, wie sehr sich der als „größter lebender Geigentechniker des Jazz“ abgefeierte Baldych an diesem Abend dem Teufelsgeiger-Klischee verweigerte, seine Virtuosität mit Ausnahme des letzten Stücks an der kurzen Leine hielt – oder vielmehr in den Dienst seiner auratischen Musik stellte. Weniger Druck, mehr Ausdruck: unter Wettbewerbsgesichtspunkten eine allerdings eher kontraproduktive Taktik.

Da konnte anschließend das Peter Gall Quintett, eine Art All-Star-Formation der vielfältigen Berliner Szene, mit einem zupackenderen Ansatz punkten. Ein das postmoderne Improvisationsvokabular gekonnt deklinierende Solo reihte sich ans andere, kompositorisch unterschiedliche Stileinflüsse in den Blick nehmend – und doch war das Ganze weniger als die Summe seiner Teile. Wo Adam Baldych seine ganz eigene Nische abgesteckt hat, lieferte Galls Fünfer „nur“ eine souveräne Kompetenzdemonstration – was die Jury indes mehr überzeugte. So hatte es am Ende seine ganz eigene Logik, dass ein Wettbewerb, dessen wattig-weiches, etwas konturenloses Motto wohl vor allem den Wechsel von den beliebten Sonntags-Matineen zu Dienstagabend-Konzerten programmatisch bemänteln sollte, von einer Band auf spieltechnisch höchstem Niveau, doch ohne markantes Profil gewonnen wurde.

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