Weltberühmt ist er geworden der Satz: „Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“ Der Untergang des Tyrannen, der nichts sehnlicher wollte als den Thron, ist zu diesem Zeitpunkt nah in William Shakespeares Drama „Richard III.“ Plötzlich zählt nur noch das Überleben. Wenn in „Richard the Kid & the King“ zu Beginn der vierstündigen Aufführung ein Schaukelpferd auf die Bühne gestellt wird, ist schnell klar, dass der Satz nun heißen müsste: „Eine Mutter! Eine Mutter! Mein Königreich für eine liebende Mutter!“
Für die Salzburger Festspiele und das Deutsche Schauspielhaus Hamburg haben Regisseurin Karin Henkel sowie die Dramaturginnen Sybille Meier und Andrea Schwieter eine Fassung aus Shakespeares „Heinrich VI.“, „Richard III.“ sowie Tom Lanoyes und Luk Percevals „Eddy the King“ aus deren legendärem Mammutprojekt „Schlachten!“ kompiliert. Man wolle erklären und aufzeigen, wie Richard zu dem Eins-A-Bösewicht geworden ist, hieß es. Gelandet sind die drei bei Küchenpsychologie: Erstens ist Mama schuld. Zweitens die brutale Männergesellschaft. Am Sonntagabend hatte das Stück in der alten Saline auf der Halleiner Perner-Insel Premiere. Womöglich hat das Team zu lange an seiner Idee und der Fassung herumgetüftelt, um eine tiefschürfende und auch neuartige Analyse erstellen und dann künstlerisch überzeugend umsetzen zu können. Die Sars-CoV-2-Pandemie verhinderte die Premiere im vergangenen Jahr. Naheliegender ist indes, dass die Idee überflüssig ist, denn all die angepeilten Themen stehen bereits in William Shakespeares Drama „Richard III.“ Ihn toppen zu wollen, geht in der Regel schief. So auch jetzt.
Als Inszenierungsstil hat sich Henkel für eine Brutalo-Groteske à la Quentin Tarantino entschieden. Kann man machen, zumal dann die Gewalt nicht so beängstigend wirkt. Erkauft wird das automatisch mit dem Verzicht auf genaue Menschenzeichnung; heißt: Dem Publikum sind die Figuren auf der Bühne relativ wurscht. Das widerspricht wiederum der intendierten Psychoanalyse dieses Richards. Aus dieser selbst gestellten Zwickmühle kommen die Regisseurin und ihre Truppen nicht heraus.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler stemmen sich tapfer dagegen. Selbst Könnerinnen wie Bettina Stucky oder Kate Strong, die in ihrer Verzweiflung auch noch überzeichnet, sitzen in der Karikaturen-Falle fest. Das ist besonders schlimm, wenn Witziges – oder, was man dafür hält – seeehr ausgewalzt wird: etwa, dass die York-Männer (Lina Beckmann, Strong, Stucky) in Gangsta-Rap-Parodien herumhampeln und -labern. Die Herren des Kronrats (Paul Herwig, Maik Solbach, Michael Weber) trifft es noch schlimmer. Sie müssen blass bis zur Nicht-Wahrnehmbarkeit bleiben, obwohl in diesen Szenen ein Politthriller abläuft, der aktueller denn je ist. Das wird mit ein paar Populisten- und Manager-Floskeln abgehakt, obwohl die Analysen des Karrieristen, Mitläufers, Denkfaulen und Kuschers doch am bedeutsamsten wären. Die gehen uns an, die sind wir oft selbst. Nur Kristof Van Boven, der alle Figuren aus der Lancaster-Sippe spielt, gibt in seiner leicht manierierten Art den Persönlichkeiten, ob König, Königin oder Prinz, fein getupfte Charakteristika-Punkte. Für Heinrich VI., diesen sanften Gegenpol zur Gewalt-Welt und zu Richard, hätte er aber einfach viel mehr Raum gebraucht.
Katrin Brack hat ihnen allen ein Einheitsbühnenbild in die Halle gebaut – gemäß der Bemerkung zu Richards Geburt: „So hat der Planet noch nie geschwankt …“ Eine große schwarze, leicht hochkant gekippte Scheibe, über der viele große und kleine Kugellampen-Himmelskörper auf- und niedersteigen, markieren das Spielfeld. Beherrscht wird es allein von Lina Beckmann. Sie formt Richard von der wüsten Geburt bis zum wüsten Tod. Sie verteidigt ihre Figur, sucht nach Mitleid, um sie dann zur enthemmten Mord-/Sadismusmaschine zu entwickeln. All das ist vorhanden – freilich noch unausgegoren, auch behindert durch Inszenierungskinkerlitzchen. Trotzdem trägt die Beckmann diese vier Stunden, die ohne sie recht nichtig wären. Herzlicher Applaus.
Weitere Aufführungen
heute,am 27., 28., 30., 31. Juli und 2., 4., 5. August; Telefon 0043/662/8045 500.