23 Jahre ist es tatsächlich schon wieder her, dass Franka Potente in „Lola rennt“ über die Leinwand spurtete und damit ihren internationalen Durchbruch feierte. Inzwischen lebt die gebürtige Westfälin in den USA mit zwei Kindern und Ehemann Derek Richardson. Wenn morgen das Regie-Debüt „Home“ der 47-Jährigen in den deutschen Kinos startet, kann man ihren Mann darin als ausgemergelten Junkie sehen. Er spielt den Freund von Marvin (Jake McLaughlin), der nach 20 Jahren im Gefängnis in seinen Heimatort zurückkehrt. Er hat einst eine Frau totgeprügelt, deren Verwandte haben ihm die Tat nie verziehen. Ein Gespräch mit der lässigen Potente, der man ihre Herkunft im Westen Deutschlands anhört, über die Kunst der Vergebung.
Home. Was bedeutet dieses Wort für Sie als Frau mit deutschen Wurzeln?
Schwierig. Ins Deutsche übersetzt bedeutet „Home“ ja zweierlei: Heimat und Zuhause. Zuhause ist, wo meine Kinder geboren wurden. Wo ich Alltag habe, wo ich aufstehe und Kaffee mache.
Und Heimat?
Tja, Heimat – das hat irgendwie immer so etwas Nostalgisches, oder? Man denkt an Oma, an Kindheit.
Herbert Grönemeyer singt: Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl.
Das trifft es gut. Denn ich habe immer Schwierigkeiten damit, das geografisch einzuteilen. Ja, Heimat ist wie eine Blase, in der Freunde drin sind, Lieblingsessen, Träume, Gerüche, all diese Dinge.
Was hat Sie dazu veranlasst, im Film von einer Heimat zu erzählen, die so ganz anders ist als die, in der Sie groß wurden?
Ich wollte eine Geschichte erzählen von jemandem, der erwachsen ist, sich aber komplett aus dem Leben reißt. So entstand Marvin, der ein Mix aus alt und jung ist, weil sein Leben als 18-Jähriger im Grunde eingefroren wurde. Dann spuckt ihn das Gefängnis aus in eine Welt, wo es lauter neue Dinge gibt, die er nicht kennt. Das fand ich interessant, dass man in der Mitte des Lebens, in der ich selbst bin, einfach noch mal ran muss, noch mal etwas leisten, sich überprüfen muss. Das ist in seinem Fall extrem: Er hat getötet, Buße getan – doch muss dann feststellen, dass das niemanden interessiert.
Als Zuschauer fragt man sich: Wie lange muss man für etwas sühnen?
Manche Leute ein Leben lang. Vergebung hat immer was mit den Vergebenden zu tun, mein Film ist keine Anleitung dazu. Ich selbst bin ein absolut nachtragender Mensch. Durch meine Kinder wird es ein bisschen besser, klar, da kann man sich gar nicht ewig damit aufhalten, was die einem alles an den Kopf werfen, mein Gott. (Lacht.) Aber im Grunde ist mir klar, dass das Festhalten an Vorwürfen, an Vergangenem, giftig ist. Anderen Vergebung zu verwehren macht einen selbst hässlich. Vergebung dagegen ist was Großes, was nach vorne geht. Doch sie ist ein schwieriger Prozess. Und Marvin versteht intuitiv, dass er den Kopp hinhalten muss, damit die Vergebung der anderen irgendwie auf den Weg kommt.
Glauben Sie, dass man alles vergeben kann?
Wenn Sie den Dalai Lama fragen, würde er wohl sagen: Ja. Doch kann ich das? Könnte ich vergeben, wenn jemand meinen Kindern etwas antut? Nein, sicher nicht. Aber wahrscheinlich würde auch ich irgendwann an den Punkt kommen, an dem ich zumindest intellektuell wüsste, ich muss. Damit ich irgendwie abschließen kann.
In Ihrem Film spielt Religion eine wichtige Rolle in Bezug auf Vergebung.
Ja, in der Kleinstadt, in der er spielt, hat die Kirche noch einen anderen Stellenwert. Ich bin selbst aus einer Kleinstadt. Kirche ist da wie ein Club, wo man einmal pro Woche sagt: Jetzt sind wir eine Stunde lang gute Menschen. Man zieht sich was Hübsches an, benimmt sich anständig. Das fand ich immer interessant. Gleichzeitig unheimlich, weil da auch ein Schulterschluss passieren kann gegen Andersartige.
Sie beobachten die Entwicklungen in dieser US-Stadt sehr feinfühlig. Vielleicht genauer als ein Amerikaner, weil Sie die Außenperspektive haben?
Vielleicht bin ich in meiner Art Regie zu führen mehr vom europäischen Kino geprägt als ein Amerikaner. Ich weiß es nicht. Was mir gefällt, ist, über kleine Dinge die großen Dinge zu erzählen, ohne sie auszuerzählen.
Wie über ein Loch in der Wand in Marvins Zuhause, das mit Tape zugeklebt ist. Gleich fragt man sich: Wer hat da hineingehauen?
So ein Loch habe ich in einem heruntergekommenen Haus gesehen, in dem eine ältere Frau lebte. Sie hat es mit Pflastern zugeklebt. Das habe ich fotografiert und meiner Ausstatterin geschickt. Denn allein dieses Bild erzählt: Da lebt jemand, der weder das Geld noch das Know-How hat, die Wand instand zu setzen.
Werden Sie demütig, wenn Sie so etwas sehen?
Sagen wir so: Ich laufe nicht durch mein Set und denke: „Die Armen!“ Ich bewerte das nicht. In dem Moment ist eine solche Lebenswelt für mich eine Bühne, auf der ich Dinge, die mir wichtig sind, abhandeln kann. Etwas Wertvolles. Ein Schmuckkästchen, ein eigenes, prall gefülltes Universum.
Glauben Sie, dass sich jeder aus prekären Verhältnissen herausarbeiten kann – oder ist unser Schicksal besiegelt?
Ja und nein. Es gibt viele Beispiele von Leuten, die nichts hatten und sich aus dem Elend herausgekämpft haben. Aber: Es gibt auch Leute, die alles haben und nicht glücklich sind, deren Leben ihnen genauso ausweglos erscheint. Also: Ja, man kann sich herauskämpfen – aber unabhängig von finanziellen Umständen. Hab ein Ziel vor Augen und vertraue darauf, dass du es erreichen kannst.
Das Gespräch führte Katja Kraft.