„München war unanstrengend“

von Redaktion

Interview mit Nikolaus Bachler über seine 13-jährige Intendanz an der Bayerischen Staatsoper

Der letzte Münchner Arbeitstag ist morgen. Nach der Vorstellung von Wagners „Tristan und Isolde“ sagt Nikolaus Bachler Servus. 13 Jahre lang war er Intendant der Bayerischen Staatsoper. Musikalisch gesehen steht das Haus im internationalen Vergleich unangefochten an der Spitze. Dass die vielen Inszenierungen damit nur teilweise Schritt halten konnten, sei nicht verschwiegen. Im Interview mit unserer Zeitung zieht der 70-Jährige Bilanz.

Als Sie nach München kamen, wurde aus Klaus seinerzeit Nikolaus Bachler. Hatten Sie je daran gedacht, nach Ihrem Abschied wieder zum Klaus zu werden?

Meinen Geburtsnamen Nikolaus mochte ich als Kind nicht. Das wurde dann anders. Insofern: Nein, ich habe keine Absichten.

Wenn man Ihre lange Münchner Premierenliste betrachtet: Wie fix war diese von Anfang an? Oder war sie eher dynamisch, sich an die Rezeption anpassend?

Sie war ganz dynamisch. Ich hänge ja sehr dem Satz an: „Es gibt keine Kunst, sondern nur Künstler.“ Alles ist immer entstanden aus Konstellationen. Und aus Erfahrungen, wenn man ein Haus und ein Publikum besser kennenlernt. Ich habe außerdem in den 13 Jahren nie empfunden, dass etwas zu wenig Resonanz hat. Und das meine ich nicht selbstgerecht, das war einfach so.

Gab es trotzdem Gepflogenheiten, Zwänge oder die Tatsache, etwas bedienen zu müssen? Jeder Intendant scheint sich ja Wagners „Ring“ ans Revers heften zu müssen.

Nein. Ich hatte nie Zwänge in meinem Leben, das ist oft eine Freiheit und oft eine Bürde. Ich kann über Produktionen gar nicht reden, weil sie ja vorbei sind. Wie Daniel Barenboim immer sagt: „Nachdem ein Ton verklungen ist, ist er weg.“ Das Einzige, was von unserem transitorischen Metier bleibt, ist das, was unser Tun in den Menschen auslöst. Meine Grundüberzeugung ist: Solange ich am Theater arbeite, möchte ich ein Biotop von Kreativität schaffen, von Mut, von Beschütztsein, von Risikobereitschaft und Innovation. Ich war immer gegen Konvention. Und das ist, so glaube ich, hier sehr gelungen. Meine zweite Absicht war: Ich wollte diese Teilung in unserem Metier aufheben. Es gibt Häuser, die sich dem Musiktheater verschreiben, aber nicht über die allerersten musikalischen Kräfte verfügen. Auf der anderen Seite gibt es Häuser, an denen wird ausgezeichnet gesungen, aber der Rest … Ich wollte das zusammenführen. Ich empfand die Zeit hier sogar als unanstrengend. Wien war viel anstrengender. Man fühlte sich sehr angenommen. Abgesehen davon, arbeite ich immer mit einer sehr flachen Hierarchie, auch wenn die Leute das von außen anders zu sehen meinen.

Sie haben schon zu Anfang Ihrer Intendanz das Münchner Kulturleben als mediterran, katholisch, sinnlich bezeichnet. Was hat sich an Ihrer Einschätzung geändert?

Ich habe festgestellt, dass das Publikum weniger einheitlich ist, diverser in den Dingen, von denen es erreicht wird und die etwas auslösen. Das Zweite, und das war hier nicht immer so, ist dieser unglaubliche Zuspruch. Ab einem bestimmten Moment nimmt man es für selbstverständlich, dass ein Haus fast jeden Abend voll ist. Aber so etwas ist ja nicht gottgegeben.

Ist das eine Gefahr, weil man sich denkt: Ich arbeite mit einem gewissen Polster?

Ein solches Polster kann sehr schnell weg sein, das sieht man auch bei Intendantenwechseln. Außerdem ist das Polster im Höchstfall nur ein finanzielles. Wenn die Leute immer sagen, die Bayerische Staatsoper habe doch so viel Geld, dann lassen sie gern einen zweiten Satz weg: Sie nimmt auch viel ein. Künstlerisch gesehen gibt es kein Polster.

Es gibt eine Parallele zu Ihrem Vorgänger Peter Jonas. Erst als Zubin Mehta nach einigen Jahren Generalmusikdirektor wurde, wurde seine Intendanz auf eine neue Stufe gehoben. Waren die Jahre bis zum Amtsantritt Kirill Petrenkos für Sie eine Übergangszeit?

Nein. Eine solche Verbindung wie mit Kirill Petrenko hat man vielleicht einmal in hundert Jahren. Das war nicht herbeigeführt, das hat sich so entwickelt seit unserer gemeinsamen Zeit an der Wiener Volksoper. Ich habe mit Kent Nagano gut und ernsthaft gearbeitet. Wir haben ja auch viel Fundiertes gemacht, es gab schöne Momente.

Wären Sie so lange ohne Petrenko geblieben?

Das kann ich nicht sagen. Sicherlich wäre ich nicht so glücklich gewesen.

Haben Sie das Gefühl, dass das Publikum auch durch Sie verändert wurde?

Ich lehne grundsätzlich eine didaktische Haltung des Theaters ab. Deshalb bin ich gegen jede Form von Ideologie oder Erziehung. Ich neige da zum Empirischen und Emotionalen und glaube an die Kraft unseres Metiers. Das Publikum veränderte sich, weil das immer so ist, wenn man zehn Jahre kontinuierlich irgendwo hingeht. Wenn man das im Schwimmverein tut, kann man danach besser schwimmen. Und wenn man in der Zeit Botschaften erhält, die Diskurs erfordern, für oder gegen die man sich entscheiden muss, dann verändert das ebenfalls.

Sie haben es mit vier Ministerpräsidenten und mehreren Kunstministern zu tun bekommen. Wie haben sich die politischen Rahmenbedingungen im selbst erklärten Kulturstaat Bayern verändert?

Gott sei Dank wenig. „Culture matters“ hier immer noch, wie die Engländer sagen würden. Die Grundhaltung, dass man dies als wichtig erachtet, hat sich allerdings verändert. Die Bayerische Staatsoper blieb das wichtigste Institut hier. Was man auch daran merkt, dass man immer einen schnellen Zugang zu den Entscheidungsträgern hat. Und, das ist ein sehr bayerisches Merkmal: Man will hier unbedingt den Erfolg.

Trotzdem müssten Sie in den vergangenen 14 Corona-Monaten enttäuscht worden sein.

In zehn Jahren, so ich dann noch lebe, werde ich mir wohl sagen: Das war eine der wichtigsten Zeiten überhaupt. Es war schwierig, ich habe auch mit Kritik nicht gespart und mich gewehrt gegen Dinge, die ich nicht verstanden habe. Aber gleichzeitig habe ich eine Energie im Haus erlebt, die ich noch nicht kannte. Plötzlich haben wir alle gemerkt: Das, was wir machen dürfen, ist ja gar nicht so selbstverständlich. Gerade an einem Staatsbetrieb. Die Intendanten wechseln, aber die Pension kommt – diesen Automatismus gibt es eben nicht. Wir müssen einfallsreicher, schneller, flexibler, mutiger sein.

Muss der Intendant demnach noch stärker als Verkäufer seines Hauses tätig sein und offensiver die Öffentlichkeit suchen?

Ich glaube, das ist ein Irrtum. Das für mich dümmste Wort in dieser Beziehung ist Manager. Wir sind dazu da, Geld zu riskieren und in gewisser Hinsicht verschwenderisch zu sein. Man wird künftig noch stärker einen Intendanten mit künstlerischem Kopf brauchen, der gleichzeitig unternehmerisch denkt. Und zu Letzterem gehört die Psychologie. Unternehmer wird immer gleichgesetzt mit Geld. Herr Krupp war jedoch vor allem ein unglaublich fantasievoller Psychologe.

Geraten nun die Theater noch mehr unter Rechtfertigungsdruck?

Auch wenn das ein gefährlicher Satz ist: Für wirkliche Veränderungen ist diese Krise zu gering. Alle wollen dahin zurück, wie es war. Aber das wird nicht so kommen. Vieles wird sich, auch langsam und schleichend, verändern. Man wird viel mehr Erfindungsgeist aufbringen müssen. Tatsache ist, dass sich das Theater in den vergangenen Monaten aus dem natürlichen Lebensbereich der Menschen entfernt hat. Das bedeutet, dass sich Interessen verlagern. Und das ist eine Gefahr. Ich sehe es doch an mir: Ich dachte mir nie, dass ich ohne Sport leben kann. Jetzt geht’s wieder, aber es ist nicht so, dass ich da gleich wieder hin bin. Was man am Theater nie vergessen darf: Die Fans, die Aficionados, sind keine übermäßig große Gruppe. Die kommen sofort wieder. Aber die anderen… Wir sind schließlich an der Bayerischen Staatsoper nicht der Autorenfilm, sondern die Hollywood-Produktion.

Sie haben zu Beginn der Intendanz gesagt, dass Sie sich wie der damalige Trainer Franz Beckenbauer nach dem Gewinn der Fußball-WM fühlen: einsam auf dem Rasen. Ist das so geblieben?

Ja. Ich bin ja jemand, der ganz nahe am Prozess ist. An den Sängern, an den Dirigenten und an den Regisseuren. Aber das sind keine Freundschaften, das ist der Beruf. Was mir nicht möglich ist, das ist die Katharsis einer Aufführung. Das Loslassenkönnen nach dem Auftritt, das Feiern, den Pokal hochhalten, das kannte ich noch als Schauspieler. Als Intendant ist man Hebamme, und die ist irgendwann überflüssig. Eine bestimmte Form von Einsamkeit ist diesem Beruf immanent. In gewisser Hinsicht ist man der erste Zuschauer einer Produktion. Daher finde ich es nicht gut, wenn Regisseure ein Theater leiten. Die schauen immer in ihrer Funktion auf die Bühne.

Gab’s in München eine Produktion, bei der Sie kurz davor waren zu sagen: Die bringen wir nicht heraus?

In der Oper nie – weil es da die Musik gibt. Ich bin auch immer dagegen, wenn aufgeteilt wird und die Menschen sagen: „Die Regie war Mist, die Musik toll.“ Ursächlich kann man das nicht trennen. Außerdem sind in der Oper viel mehr Menschen als im Schauspiel involviert, das gleicht vieles aus.

Nicht zurückdenken, die Tür hinter sich zumachen können – mussten Sie das lernen?

Nein, das ist wohl meine Natur. Oft, wenn ich in Wien bin und am Burgtheater vorbeigehe, denke ich mir: Ach ja, da warst du auch mal. Und mein Kollege Peymann redet heute noch immer so, als sei er noch da.

Dachten Sie im Falle München von Anfang an, dass dies der End- und Höhepunkt Ihrer Intendanten-Laufbahn wird – und dann nichts mehr kommt?

Nein. Anfangs wusste ich ja nicht, wie es in München klappt. Die Gedanken, wie lange es dauern soll, begannen eigentlich mit Kirill. Die Berliner Philharmoniker, wo er Chefdirigent wurde, kamen dazwischen, also haben wir diese Lösung gefunden, und ich blieb 13 statt 15 Jahre. Wir wollten gemeinsam einen Kreis schließen. Vor allem als Vertreter vom Londoner Royal Opera House hier waren und mich für ihr Institut interessieren wollten, ebenso übrigens der Wiener Minister für ihre Staatsoper, wurde mir klar: Ein großes Haus soll es für mich nicht mehr sein.

Weil‘s nicht besser geht?

Ich könnte woanders nichts anderes machen als hier – nur in Varianten. Und für die Wiener Staatsoper bin ich nicht mehr jung genug, dass ich auch im übertragenen Sinn vom Keller bis zum Dachboden alles renoviere. Die Salzburger Osterfestspiele kamen eher zufällig. Und dann dachte ich mir: Ach, ein paar Tage pro Jahr dort als Ideengeber fungieren… Und mit Christian Thielemann hat sich vieles geklärt, vor allem ab dem Moment, als wir zu arbeiten begonnen haben. Dafür sind wir beide Profis genug.

Und was machen Sie nach Isoldes Liebestod am 31. Juli, nach dem „Tristan“ als letzter Vorstellung Ihrer Intendanz?

Ich fahre in mein Haus in die Berge und will zwei Wochen lang niemanden sehen. Das ist das Einzige, was ich jetzt weiß. Außerdem ziehe ich zurück nach Wien. Das übrigens hat sich verändert bei mir: Ursprünglich wollte ich in München weiter wohnen. Aber mir wurde klar: Wenn ich ein Theater übergeben habe, war es immer gut, dass ich weg bin aus der Stadt. Das ist auch für den Nachfolger besser so. Irgendwann wird man mich schon wieder im Publikum sehen.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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