Es gibt Buchheim, den Sammler. Es gibt Buchheim, den Maler und Fotografen. Und es gibt den Buchheim, der „Das Boot“ (1973) schrieb. Damit wurde der Mann aus Feldafing am Starnberger See schlagartig weltberühmt, verstärkt durch die mittlerweile legendäre Verfilmung von Wolfgang Petersen (1981); gefolgt von diversen Fernsehversionen. Es ist also selbstverständlich, dass das Bernrieder Buchheim Museum der Phantasie immer auch diesen Aspekt im Schaffen und Sein Lothar-Günther Buchheims (1918-2007) in den Ausstellungsräumen präsent hält. Da gerade „Das Boot“ ohne Nazi-Zeit und Zweiten Weltkrieg nicht denkbar ist, musste die Schau auch immer wieder an neuen Erkenntnissen ausgerichtet werden. Jetzt ist es erneut soweit.
Nach der Präsentation „Buchheim 100“ 2018, die bereits den Propaganda-Spezialisten Buchheim darstellte, ist nun im Museum die Dauerausstellung „Das Boot“ eröffnet worden. Man sieht zwar einen (Film-)Torpedo und die Modelle der U-Bootbrücke für Trickaufnahmen, aber sonst nichts Filmisches. Schwelgen in Kinospannung gibt es nicht. Museumschef Daniel J. Schreiber und der Journalist und Autor Gerrit Reichert setzen auf Entzauberung und klare Informationen. Deswegen ist die „Schau“ trotz vieler Fotografien eher etwas zum Lesen oder Hören (Audioguide).
Schreiber legt zwei Argumentationslinien an: zum einen Buchheims Entwicklung von 1937 bis zum Tod, also vom Karrieristen, der sich auf Kriegspropaganda spezialisiert hat, über den gereiften Mann, der künstlerisch gegen den Krieg anschreibt und bei anderen die Schuld sucht, bis hin zum alten Mann, der zaghaft (sich) die eigenen Verfehlungen eingesteht. Zum anderen die Fakten um das Boot U 96, geleitet vom 29-jährigen Kommandanten Heinrich Lehmann-Willenbrock („der Alte“), dessen siebte Fahrt – ein Flop – Buchheim 1941 als „Kriegsberichter“ begleiten durfte; und wie er die Erlebnisse erst propagandistisch, später in eher kritische Romanfiktion umgesetzt hat. Das Geflecht von Realität, Zwecklüge und künstlerischer Fantasie ist recht gut auflösbar, weil es das Kriegstagebuch von Lehmann-Willenbrock und das Tagebuch des Leitenden Ingenieurs des U 96, Friedrich Grade, gibt. Da wird zum Beispiel das in Roman und Film nervenzerfetzende Absinken des beschädigten Boots zu einer ganz gebräuchlichen Vorgehensweise der U-Bootbesatzung. Auch den fürchterlichen Untergang, den Buchheim „inszeniert“, hat es für U 96 so nicht gegeben.
Fiktion darf, was sie will. Und Buchheim wollte mit „Das Boot“ vor dem Kriegswahn warnen. Schlimmer war sein Buch-Vorgänger von 1943: „Jäger im Weltmeer“, eine scheinreale Fotoreportage im Auftrag und mit einem Vorwort von Karl Dönitz, „Befehlshaber der U-Boote“. In diesem Propagandamachwerk ging es vor allem darum, mit Helden- und Kameradschaftsgeschwafel samt heroischen Fotos neue Soldaten für die schnell wegsterbenden U-Boot-Mannschaften anzulocken. Diese Art der Kriegsführung war ohnehin aussichtslos, denn die Briten konnten die Funksprüche der Flotte abfangen. Sie hatten eine Enigma (zu sehen in der Ausstellung) geknackt, die Chiffriermaschine der Admiralität. Englische Geleitzüge konnten daher bequem an lauernden NS-U-Booten vorbeigeführt werden.
Im Roman „Das Boot“ schildert Buchheim das ewige Warten und Herumgammeln der Soldaten über viele, viele Seiten, berichten die Wandtexte im Buchheim Museum genauso wie im Audioguide. Daneben erläutert Schreiber zum Beispiel die Komplexe „Angst, Erlösung und Untergang“ oder „Schuss, Sieg und Schuld“. Hier wird deutlich, dass der ehemalige Propaganda-Experte Buchheim, der sogar in die Elitegruppe „Staffel der bildenden Künstler“ berufen worden war, wohl versuchte, auch seine eigene Schuld ein wenig abzutragen. Er breitete umfassen die moralische Frage aus, ob man nur Schiffe versenken oder auch Menschen ertrinken lassen sollte. Für viele ging es gegen ihre Seemannsehre, Menschen nicht zu retten. Der echte „Alte“ hatte keine Hemmungen. Bei der Fahrt, die Buchheim mitmachte, überließ er Schiffbrüchige der See. Erst ein Jahr später gab es den expliziten Befehl von Dönitz, niemandem zu helfen.
Die Exposition „Das Boot“ macht es keinem leicht: uns nicht und Buchheim nicht. Sie schildert einen Menschen, der seinen Vorteil suchte, sein bequemes Überleben sicherte – aber sich Jahrzehnte später doch an der schuldhaften Verstrickung immer aufs Neue abarbeitete. Sicher, Lothar-Günther Buchheim verfiel nicht in ein öffentliches Mea-Culpa, dennoch leistete er einiges, um Illusionen über den Krieg zu zerstören.