Körpernah

von Redaktion

Das Museum Brandhorst zeigt „Alexandra Bircken: A-Z“

VON TERESA GRENZMANN

„Unsere Haut ist unsere Nahtstelle zur Welt“, sagt Alexandra Bircken; eine schönere Umschreibung für das Werk der skulptural arbeitenden Künstlerin, die ihre Karriere in der Modewelt begonnen hat, gibt es nicht. Der menschliche Körper im Schutzraum seiner Haut, Kleidung, Umgebung, Umwelt – ob archaisch natürlichen Ursprungs oder vom Menschen selbst im technischen Fortschritt industriell geformt –, ein Raum, dem er zugleich ausgesetzt ist:  Für  Bircken  ist  er der Ausgangs- und Mittelpunkt eines breiten bildnerischen Repertoires.

„Alexandra Bircken: A-Z“ – der Titel ist Programm. Die bisher größte Werkschau der 1967 in Köln geborenen und in Berlin lebenden Künstlerin, die seit 2018 an der Münchner Akademie der Bildenden Künste als Professorin für Bildhauerei lehrt, ist nun im Museum Brandhorst zu erleben. Eindrucksvoll bespielt sie dessen gesamtes Untergeschoss. Bereits auf der Treppe in den hohen, offenen Mittelsaal ist klar, was für eine glückliche Symbiose die räumlichen und schöpferischen Dimensionen hier eingehen: eine Einladung an die Besucher, eigenständig zu entdecken, aus dem Augenwinkel zu streifen, zurückzukehren, die Perspektive zu wechseln, sich zu nähern, mit Gewohntem abzugleichen, sich zu wundern. „Jedes Objekt ist eine Begegnung“, fasst es Kuratorin Monika Bayer-Wermuth treffend zusammen.

Offen bis vorlaut, humorvoll bis politisch – so buchstabiert das Münchner „A-Z“ seine Künstlerin. Dabei ist wissenswert, dass Bircken als Designerin aus der Fashionwelt von London und Paris kommt. Zur Jahrtausendwende kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück, kreierte Accessoires, die sich mehr und mehr vom Körper lösten; 2003 entstand ihre erste Skulptur. Zwischen Organischem und Anorganischem reicht Birckens Wahl der Gestaltungsformen und Ausdrucksmittel. Spannungsreiche Bezüge entstehen aus der Kombination von Alltagsgegenständen und Abfallprodukten. Das (veredelte) „Upcycling“ von Oberflächlichem – Verpackung, Schrott ebenso wie Textilien oder Stöcken – führt zu einer tiefschichtigen Auseinandersetzung mit dem Wechselspiel zwischen Mensch und Maschine. Weich trifft auf hart, Knotenkunst auf Karosserien, zersägte Schaukelpferde tragen Menschenhaarmähnen, zersägte Motorräder offenbaren überraschend anatomische Innenleben. Nicht länger Funktionales wirft die Frage auf nach seinem eigentlichen stofflichen und emotionalen Wert.

Das spielerisch symbolische Prinzip des Zerschneidens und Neu-Aneinandersetzens findet sich in Beinprothesen aus Ästen wieder. Gräser, Blätter, Fäden, Fasern, Plastikhalme und Geschenkband formen sinnlich eine „DNA“ (2012). In Bronze gegossene weibliche Körperteile oder die präparierte Plazenta von Birckens Tochter („Origin of the World“, 2017) stehen ohne Umschweife für Weiblichkeit und Mutterschaft im Künstlerinnen-Werk. Eine aufgeschnittene Motorradkluft hängt wie ein Tierfell an der Wand; im gleichen Stil sezierte und drapierte Waffen weisen darauf hin, dass auch ihre Form auf den menschlichen Körper zugeschnitten wurde. Einige der Werke waren 2019 auf der Biennale in Venedig zu erleben. Exklusiv für die Schau in München hat Bircken zwei der hölzernen Lüftungsgitter durch Tierknochen ersetzt. Während sie so auf das Skelett des Gebäudes anspielt, reagiert die leuchtend atmende Installation „Lunge“ (2013) auf die architektonischen Grenzen im Videokabinett. Da wundert es nicht, dass vor dem Museum, Birckens gepiercte Zungenskulptur „Slip of the Tongue“ (2020) wacht – ein „Versprecher“, der nicht zu viel verspricht.

Bis 16. Januar 2022,

Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr; Katalog, Hatje Cantz: 48 Euro; www.museum-brandhorst.de.

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