Der Gipfel des Triumphs? Der Mann ist 37. Von diesem Freitag an ist er Berlins neuer, junger Mackie Messer. Und das am alten Brecht-Theater, dem berühmten Berliner Ensemble, jenem Haus am Schiffbauerdamm, wo am 31. August 1928 „Die Dreigroschenoper“ uraufgeführt wurde; mit Harald Paulsen als Macheath. Unzählige Darsteller auf der ganzen Welt drückten seither diesem ruchlosen Gangster und Galan ihren Stempel auf. Und jetzt tut dies in Barrie Koskys Inszenierung Nico Holonics.
Im Rollenrepertoire also ganz oben angekommen? Das wohl nicht, denn rollenmäßig ganz oben hat Holonics von Anfang an mitgemischt. Das war in München, als Christian Stückl 2007 den Absolventen der Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule ans Volkstheater engagierte und mit sicherem Blick für die außerordentliche Begabung des Debütanten ihm Schillers Don Karlos und bald darauf Shakespeares Richard III. anvertraute. Das konnte nur gut gehen. Drei Jahre Volkstheater, drei Jahre Münchner Kammerspiele, nach sechs Jahren in der Bayern-Metropole war es dann an der Zeit, sich künstlerisch anderweitig umzuschauen.
„Dass ich in München so schnell mit großen Rollen betraut wurde, dass ich gleich sehr groß spielen durfte, war ein Riesenglück“, erinnert sich Nico Holonics im Gespräch. Er weiß, ein derartiger Start in den Beruf ist nicht selbstverständlich. In der Regel stehe man als Anfänger eher in der dritten, vierten Reihe. „Schweren Herzens“ sei er aus München weggegangen. Er hatte in Thalkirchen gewohnt, wo es so schön war, wo er sich in der nahen Natur, den Isarauen, wohlgefühlt hatte. „Aber ich wollte doch auch noch etwas anderes sehen.“ Da kam Oliver Reese, damals Intendant in Frankfurt am Main, gerade recht. Holonics: „Er hat mich gelockt mit der Dichte der tollen Regisseure, die an seinem Haus arbeiteten, Stephan Kimmig, Karin Henkel, Amélie Niermeyer, Andreas Kriegenburg, Michael Thalheimer, Falk Richter, Stefan Pucher. Noch nachträglich muss ich sagen: Es war die richtige Entscheidung.“
Als Reese 2017 die Intendanz des Berliner Ensembles (BE) übernahm, war es selbstverständlich, dass ihm Nico Holonics nach Berlin folgen und sich sogleich in der Eröffnungspremiere von Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“ in der Rolle des Soldaten Simon Chachawa den Berlinern präsentieren würde. Die sind ihm seither in vielen Aufführungen begegnet, etwa als Oskar Matzerath in dem Ein-Personen-Dauerbrenner der Bühnenfassung von Grass’ „Blechtrommel“.
Nun also „Die Dreigroschenoper“. Höchst anspruchsvoll der ständig schnelle Wechsel zwischen Schauspiel und Oper, Sprechen und Gesang. So etwas hat Holonics noch nie gespielt. Aber als Kind und Jugendlicher hat er im Leipziger Gewandhauskinderchor gesungen, ist dort Dirigenten wie Kurt Masur, Herbert Blomstedt und Giuseppe Sinopoli begegnet. Ob er davon heute profitiert? „Mit neun Jahren findet man Chorsymphonik – und darum handelte es sich ja vorrangig – nicht immer schön. Das war alles furchtbar streng, an drei oder vier Nachmittagen pro Woche stundenlange Proben, es herrschten Zucht und Ordnung. Jetzt erst, im Nachhinein weiß ich, was ich da mitgenommen habe, nämlich die Erkenntnis, wie schön und wie anstrengend es manchmal ist, Kunst zu machen. Eine Erfahrung, die mir heute hilft, über so manche Schwierigkeit hinwegzukommen; denn ich weiß, dass es sich lohnt, sich zu quälen. Was die musikalische Seite angeht, bin ich durch den Chor natürlich sehr gut gebildet.“
Dennoch sei es für ihn jetzt eine Riesenumstellung, als Schauspieler plötzlich ein Orchester zum Partner zu haben, das einen ganz anders diszipliniere. Und dazu noch einen Regisseur des Musiktheaters. Für Holonics Anlass zum Schwärmen: „Kosky erzeugt ein Probenklima, das einfach wunderbar ist, denn es gibt einem das Gefühl, total frei zu sein. Ich hatte ihn vorher nicht gekannt, hatte aber 2016 seine ,Carmen‘ an der Frankfurter Oper gesehen, die mich sehr beeindruckt hat. Und als ich hörte, er würde bei uns am BE ,Die Dreigroschenoper‘ inszenieren, bin ich zum Intendanten gegangen: Ich möchte da mitspielen, egal welche Rolle.“ Wenig später wurde Holonics auf die Probebühne gebeten, um Kosky vorzusingen – und der Macheath war ihm sicher.
Holonics: „Es ist eine enorme Aufgabe. Das Schwierigste sind drei Dinge: die Präzision im Musikalischen, die Abgefucktheit in der Rolle und die Leichtigkeit im Schauspielerischen. Brutal und gleichzeitig leicht zu sein – das ist die Herausforderung.“ Natürlich weiß er von anderen Mackie-Darstellern, von berühmten Größen der Vergangenheit. Aber wer auch immer vor ihm war, davon lässt er sich nicht beeinträchtigen: „Ich habe ja auch nicht als Erster Richard III. gespielt. Und ich werde auch nicht der letzte Mackie Messer sein. Gegenwart ist jetzt. Jetzt ist 2021. Das ist unsere Zeit.“