Dass die freie Kulturszene unter den Folgen der Pandemie besonders stark zu leiden hat, ist bekannt. Ins Zimmertheater Mathilde Westend, seit fünf Jahren bereits in einem ehemaligen Nagelstudio in der Gollierstraße als „kleinstes Theater der Stadt“ erfolgreich, durfte in den letzten Lockdown- oder Lockdown-light-Monaten auch kein Publikum hinein. Doch die zwei Theaterleiterinnen Theresa Hanich und Julia Loibl hatten eine großartige Idee für eine absolut Corona-konforme Frischluftveranstaltung. „Mathilde Westpark“ sozusagen.
Sie schicken ihre Gäste, ausgerüstet mit einem sehr einfach zu bedienenden MP3-Player und Kopfhörern, nach einer persönlichen Begrüßung einzeln oder in Kleingruppen von einem Treffpunkt am Rande des Westparks aus mitten hinein in die auf schmalen Terrassen farbenfroh blühende Flora. Auf den Ohren einen Roman der britischen Schriftstellerin Elizabeth von Arnim (Foto: Nautilus Verlag), „Elizabeth und ihr deutscher Garten“, den die zwei Schauspielerinnen Hanich und Loibl selbst sehr lebhaft und mit einem guten Gespür für den trockenen Humor des Textes eingelesen haben.
Ein Faltblatt zur Übersicht gibt’s noch dazu, ebenso eine passend blumige und erstaunlich wohlschmeckende Rosen-Limonade, und schon wandert man die sorgsam gepflegten Wege des Blumengartens im Westpark entlang. Eine passendere Kulisse für von Arnims Roman über die Frau eines recht steif und konventionell anmutenden Aristokraten des späten 19. Jahrhunderts, die aus den vorgesehenen Bahnen ausbrechen will, kann man sich kaum denken. Denn die Romanheldin Elizabeth zieht es in jeder ihrer ständig energisch wechselnden Stimmungslagen an denselben Ort: „Suche ich Schutz und Zuflucht, gehe ich in den Garten, nicht ins Haus. Dort warten Pflichten und Plagen, Möbel und Mahlzeiten“, bekennt die sich zunehmend an den Konventionen ihrer Zeit reibende Frau. Im Garten dagegen „werde ich von Wohltaten überschüttet. Jede Blume und jedes Kraut ist eine Freundin, jeder Baum ein Geliebter“.
Einen Ruhepol hat die Figur dringend nötig, schließlich hat sie nicht nur drei Kinder im Kleinkind- und Vorschulalter zu bespaßen, sondern auch den nicht ganz einfach zu handhabenden Gatten, konsequent nur „der Zornmütige“ genannt. Der teilt zwar ihren Humor und erweist sich mitunter als an den Zeitläuften gemessen relativ zugewandt. Hat insgesamt aber keineswegs eine hohe Meinung von der Damenwelt: „Es ist alles so nett, was ihr denkt, und ohne die geringste Bedeutung“. Auch wenn er sich im Anschluss rasch mit einem „Anwesende ausgenommen“ aus der Affäre zu ziehen versucht.
Inmitten von üppig schwellenden Rosenblüten und Astern, Margeriten und den von Arnim viel geliebten Prunkwinden sitzt man staunend über diese knallharte Emanzipationsgeschichte hinterm täuschend liebenswürdig anmutenden Blumenkränzchen auf einer Bank und lauscht dem historisch so akkuraten wie verblüffend modernen Hörbuch. In der Abendsonne schnattern die Gänse, während man in Elizabeth von Arnims klugen und vergnüglichen Gedanken zu Gartenbepflanzung und Ehealltag schwelgen darf.
Weitere Spaziergänge
an diesem Sonntag, 11 Uhr; 16./17.8., 18.30 Uhr; Infos: www.mathilde-westend.de.