LSD-Trip durch Disneyland

von Redaktion

Die Münchner Kammerspiele locken mit der Computer-Installation „I am“

VON ALEXANDER ALTMANN

Zuerst ein ganz praktischer Tipp: Man sollte Socken ohne Löcher anziehen, ehe man Susanne Kennedys Virtual-Reality-Installation „I am“ im Habibi Kiosk der Münchner Kammerspiele besucht. Denn bevor es losgehen kann, muss der Besucher die Schuhe ausziehen, damit der Teppichboden in der Aufführungs-Kammer sauber bleibt, auf dem man sich dann niederlassen darf. Dort ist man auch der einzige Zuschauer (jeder muss online ein eigenes Zeitfenster buchen), setzt eine desinfizierte Virtual-Reality-Brille plus Kopfhörer auf, und los geht die Reise in fantastische Welten, die, wie könnte es anders sein, eine Reise ins Ich darstellen soll.

In weiten Teilen ist dieses Projekt nur die digitalisierte, deutlich ausgebaute Fortführung dessen, was die renommierte Regisseurin Susanne Kennedy schon in ihrer analogen Installation „Oracle“ 2020 an den Kammerspielen gezeigt hatte: Beide Male wird der Besucher auf die Reise zu einem Orakel geschickt, dem er sich aber erst nähern darf, nachdem er mehrere Vorbereitungsstationen durchlaufen hat – Orte, die ihn zum höheren Bewusstsein seines Selbst bringen sollen.

Natürlich sind solche Motive heute nur noch spirituell-esoterischer Kitsch, so wie die ganze Realitäts-Illusion, in die wir hier virtuell eintauchen. Man gelangt in Tunnel, Räume, Hallen, wo Boden und Wände mit germanischen oder keltischen Tierreliefs übersät sind, auch mit Bildern von Fossilien, Käfern und der altgriechischen Inschrift „gnothi seauton“, was so viel heißt wie „erkenne dich selbst“. Zudem wird dieses ziemlich üppige Ambiente in psychedelisch-bunte Farben getaucht, sodass man sich ein wenig vorkommt wie in einem LSD-Disneyland.

Die erste Vorbereitungsstation vermittelt dann buchstäblich das Gefühl, man stünde im Wald. Eine wildromantische Szenerie mit Felsen, Föhren und Vogelgezwitscher umgibt den Geistreisenden, der sich, weil er ja den eigenen Körper aufgrund der Brille nicht sieht, tatsächlich fühlt, als schwebe er in all diesen Räumen herum. Nach der zweiten Station, dem sogenannten Narrativ, ist dann die dritte Station ziemlich sensationell: Der „Aufzug“ sieht aus wie ein turmhoher Fabrikschlot, in den man unten hineinschwebt, um im Inneren mit rasender Geschwindigkeit hochgesogen zu werden – virtuell natürlich. „Oben“ angelangt, findet man sich wiederum in einer ganz anderen Welt, die teils an Tolkien-Landschaften à la „Herr der Ringe“ gemahnt, vor allem aber an Science-Fiction-Szenerien vom Feinsten.

Wie die Begegnung mit dem Orakel dann aussieht? Alles wollen wir hier ja auch nicht verraten, damit jedem Besucher noch genug Überraschungen bleiben. Denn beeindruckend, nicht zuletzt in technischer Hinsicht, ist es auf jeden Fall, was Susanne Kennedy zusammen mit Markus Selg und dem Videokünstler Rodrik Biersteker da produziert hat.

Auch wenn Virtual-Reality-Werken meist ein leichter Hautgout von Jahrmarktsvergnügen anhaftet – dem suggestiven Sog ihrer räumlichen Illusionswirkung kann und will man sich nicht entziehen. Zumal die Flucht in solche Traumreiche uns die Löcher in den eigenen Socken vergessen lässt.

Bis Ende August,

Mi. bis Sa. 13 bis 19 Uhr, Maximilianstraße 28 (Vorverkaufsraum der Kammerspiele); Online-Anmeldung unter muenchner-kammerspiele.de.

Eine Reise ins Ich und zu einem Orakel

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