Aus der Pandemie-Not eine konzeptionelle Tugend zu machen, das gelang dem diesjährigen Jazzfestival Saalfelden. Die 41. Ausgabe der weltweit renommierten Veranstaltung, deren Publikum zu gut einem Drittel aus Bayern ins Salzburger Land anreist, präsentierte eine Reihe von Musikern in unterschiedlichen Konstellationen. So schuf man unter sich ständig verändernden Rahmenbedingungen halbwegs Planungssicherheit und bot Einblicke in unterschiedliche Facetten einer Künstlerpersönlichkeit.
Artist in Residence war der phänomenale Sprach- und Stimmkünstler Christian Reiner. Von seinen fünf Projekten wird mindestens „Luft“, ein Sextett mit fünf improvisierenden Bläsern, als sich jeder Kategorisierung entziehendes Sprach-Musik-Gesamtkunstwerk in Erinnerung bleiben. In Sachen Fleißkärtchen knapp dahinter lag mit vier Auftritten Schlagzeug-Tausendsassa Christian Lillinger. Das Spektrum reichte hier von den vertrackt-rockigen Songstrukturen bei KUU!, einem Quartett mit zwei Gitarren und der expressiven Stimme von Jelena Kuljic, bis zur freien Improvisation mit Craig Taborn (Piano) und Elias Stemeseder am Spinett (!).
Dieses feinnervige, intuitive Trio war ebenso eine gelungene Weltpremiere wie das Aufeinandertreffen von Sylvie Courvoisier und Kris Davis an zwei Flügeln, die im Grenzbereich von Neuer Musik und jüngerer Jazzpraxis souverän eigenes Terrain absteckten. Die Kölner Altsaxofonistin Angelika Niescier durfte das Hauptprogramm mit einem speziellen Projekt eröffnen, eine Ehre, die bisher stets österreichischen Musikern vorbehalten war. Niescier hatte Motive aus Streichquartetten von Beethoven für zwei Vibrafone, Posaune und Kontrabass arrangiert, dazu Drums und ihr eigenes fulminantes Horn. Noch überzeugender als dieser aus klassischen Quellen Vitalität schöpfende Gegenwartsjazz war indes Niesciers symbiotisches Duo mit Pianist Alexander Hawkins.
Craig Taborn spielte auch in einem neuen Trio mit Cellistin Tomeka Reid und Perkussionist Ches Smith, das seinen lyrischen Grundgestus immer wieder mit elektronischen Klangflächen sabotierte: Produktive Irritation war hier Prämisse. Smith trommelte auch im kernig-brachialen Rocktrio Ceramic Dog von Gitarrist Marc Ribot, der sogar die Chuzpe hatte, sich das berühmte Riff aus „Satisfaction“ für ein eigenes Stück zu borgen.
Pianistin Kaja Draksler fesselte in einem wunderbar transparenten, organisch fließenden Trio mit Lillinger und Bassist Petter Eldh, während ihre Vertonungen von Gedichten Robert Frosts für ihr Oktett extrem spröde gerieten.
Dass nicht jedes Experiment überzeugen konnte, gehört zum kalkulierten Risiko eines Festivalkonzepts, das im Zweifelsfall dem Prozesscharakter einen höheren Stellenwert einräumt als routinierter Ergebnispräsentation. Insgesamt aber fällt die Bilanz, zumal unter den schwierigen Planungsbedingungen, sehr positiv aus. Reminiszenzen an Beethoven und die Stones, Metal-Gitarren und Spinett: Saalfelden 2021 präsentierte den Jazz als von allen Seiten zugängliches Experimentallabor, in dem ständig neue Überraschungen aufploppen. Oder, frei nach Forrest Gump: Der Jazz ist wie eine Pralinenschachtel – man weiß nie, was man kriegt.