Reinste Wagner-Magie

von Redaktion

BAYREUTHER FESTSPIELE Rückkehr von Dirigent Andris Nelsons

VON MARCO SCHMIDT

Was wohl Richard Wagner, der wackere Verfechter des Gesamtkunstwerks, dazu gesagt hätte, dass nun ausgerechnet in seinem Bayreuther Festspielhaus konzertante Häppchen mit Hits aus drei seiner Opern serviert wurden? Immerhin hatte das aus Pandemie-Nöten geborene Konzert zwei unbestreitbare Vorteile. Erstens lenkte kein szenischer Schnickschnack von der Musik ab, und zweitens konnte man dem sonst im Graben verborgenen Festspielorchester endlich einmal bei der Arbeit zusehen.

Tatsächlich ist es ein Genuss, Andris Nelsons am Dirigentenpult zu erleben: seine ästhetisch fließenden Bewegungen, seine mitreißende Hingabe, seine ansteckende, fast kindliche Begeisterung, die sich unmittelbar auf Musiker und Publikum überträgt. Manchmal kriecht er förmlich hinein ins Orchester, als wollte er besonders expressive Klänge herauskitzeln. Bisweilen dehnt er die Spannung fast bis zum Stillstand.

Abgesehen von wenigen Unsicherheiten, etwa zu Beginn des „Lohengrin“-Vorspiels, besticht das rund 100-köpfige Orchester sogar in rasendem Rausch mit messerscharfer Präzision. Zum Höhepunkt wird dabei der besonders feinsinnig gestaltete Karfreitagszauber aus dem „Parsifal“: reinste Wagner-Magie, von atemberaubenden Abstufungen im Pianissimo bis hin zu überwältigenden Fortissimo-Ausbrüchen. Nelsons’ Opern-Qualitäten zeigen sich auch darin, dass er die Musiker zwar zur Ekstase animiert, aber die drei Gesangssolisten des Abends nie übertönt – er lässt ihnen stets den Vortritt und verdonnert sie nicht zum Schreien. Sie präsentieren vor der Pause den ersten Aufzug der „Walküre“, über den Loriot einst meinte: „Inzest und Ehebruch – man ist entzückt!“

Günther Groissböck, der jüngst wegen Konditionsproblemen seinen Bayreuther Wotan abgesagt hatte, tauchte an diesem Abend plötzlich doch in der „Walküre“ auf – allerdings als betrogener Ehemann Hunding. Die Rolle ist vergleichsweise klein und lässt keine verlässlichen Schlüsse zu, ob Groissböck nicht trotz allem ein toller Wotan hätte sein können.

Aber a Hunding is er scho, wie man in seiner niederösterreichischen Heimat wohl sagen würde – und was für einer! Sein Bass überzeugt mit stimmlicher Eleganz, fiesen Färbungen und perfekten Akzentuierungen. An seiner Seite gibt Christine Goerke mit glutvollem, tragfähigem, samtigem Sopran eine souveräne, sehr sinnliche Sieglinde, die vor allem in leisen Passagen durch ihre Eindringlichkeit berührt. Und Klaus Florian Vogt, der Star des Abends? Er verkörpert einen lyrischen, zärtlichen, zurückhaltenden Siegmund, der mehr an einen naiven Naturburschen erinnert als an einen Hoppla-jetzt-komm’-ich-Helden. Konsequent verzichtet er auch bei den berüchtigten „Wälse“-Rufen auf jegliche Kraftmeierei. Wohler zu fühlen scheint sich der Bayreuth-Veteran nach der Pause, als er ein paar Erfolgsnummern seiner beiden Paraderollen Lohengrin und Parsifal zum Besten geben darf.

Auch wenn man ihm mittlerweile gewisse Anstrengungen bei hohen Fortissimo-Tönen anmerkt, so verfügt er doch noch immer über ein glasklares, betörendes, beinahe engelsgleiches Timbre – wie geschaffen für die Sahnebonbons in Wagners Werk, die Vogt nach wie vor gern auspackt. Die Fans danken es ihm mit Ovationen.

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