Geimpft, genesen, getestet: Seit Donnerstag bestimmt die 3G-Regel weite Teile des öffentlichen Lebens. Statt an die Sieben-Tage-Inzidenz ist diese neue, 14. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung an drei Warnstufen einer Krankenhausampel gekoppelt, welche Aufschluss über die Belastung des Gesundheitssystems geben soll. Insbesondere bei Innenraum-Veranstaltungen, darunter Kino, Konzerte oder Theater, soll die 3G-Regel Anwendung finden – zumindest, solange besagte Ampel nicht auf Gelb springt.
Während die einen sich zaghaft über die zurückgewonnenen Freiheiten freuen, herrscht innerhalb der Kultur- und Veranstaltungsbranche weiterhin große Unsicherheit. Die Lockerungen seien zu unpräzise formuliert und teilweise gar nicht durchführbar, heißt es aus der Szene.
„Der Fluch liegt im Detail“, erklärt Fritz Preßmar, dessen Familie das Filmtheater Sendlinger Tor seit über 100 Jahren führt. „Für das Kino sind die Lockerungen nicht zu Ende gedacht“, so der Geschäftsführer des legendären Lichtspielhauses weiter. Er wolle „nicht irgendwo was falsch machen“, weswegen zunächst einmal „fast alles beim Alten“ bleibe: Die Abstandsregeln bestehen weiterhin, die Maskenpflicht im Saal entfällt dagegen.
Unklar ist jedoch, wie der Verzehr von Speisen und Getränken im Kino und in dessen Foyer künftig gehandhabt werden soll. Eine auf das Filmtheater zugeschnittene Lösung liegt bis jetzt noch nicht vor. Preßmar hofft nun auf „die göttliche Eingebung der bayerischen Landesregierung“. Für Filmstarts mit „viel Besucherpotenzial“, darunter vor allem „James Bond: Keine Zeit zu sterben“ (Kinostart: 30. September), zeigt sich der Cineast zuversichtlich: „Bis dahin hat sich das geklärt.“
Weitaus unzufriedener fällt die Reaktion über die 3G-Regel in den Reihen der Konzertveranstalter aus. Christian Waggershauser, einer der beiden Geschäftsführer des Haidhausener Kulturzentrums Muffatwerk, beklagt, die Lockerungen seien „extrem kurzfristig“. Von ihnen profitieren wird seine Branche zunächst nur bedingt. Einige seiner Veranstaltungen mussten bereits viermal verschoben werden. Für ein Konzert mit einem internationalen Act bedarf es „eines halben Jahres Vorlaufzeit“.
Die neue Regelung kommt daher wohl zu spät. Waggershauser vermutet, die Politik habe bei ihrer Entscheidung die Kulturszene ohnehin nur bedingt berücksichtigt: Die neuen Maßnahmen seien „keine Offensive für die Kultur, sondern für die IAA“. Die Internationale Automobil-Ausstellung findet vom 7. bis 12. September in München statt. Bereits im Vorfeld wurde immer wieder Kritik laut. Auch der Muffatwerk-Betreiber schließt sich an: „Die neuen Verordnungen scheinen auf die Messe zugeschnitten zu sein.“ Auch dort gilt 3G – die tägliche Besucherobergrenze liegt allerdings bei 50 000 Personen.
Der Ärger über „Söders Lex IAA“, wie Waggershauser die Lockerungen bezeichnet, ist daher groß. Insbesondere dass man die Veranstaltungsbranche „zu Unrecht als Pandemietreiber dämonisiert“ habe, frustriert ihn. Aufgrund der „großen Verunsicherung“ habe man für 2022 bisher „kaum Karten verkaufen können“. Aktuell werden gerade einmal fünf Prozent der verfügbaren Tickets bestellt.
Klassikveranstalter Andreas Schessl, Gründer von MünchenMusik, sieht das ähnlich. Zwar seien „die Verkäufe in den letzten Wochen gut angelaufen“, dennoch wünscht er sich ebenfalls „ein klares Zeichen, zum Beispiel durch das Robert-Koch-Institut, dass Konzerte zu keinem Zeitpunkt der Pandemie ein Infektionstreiber waren“. Derartige Vorwürfe erachtet er als unberechtigt: „Schon in der ersten Welle hat eine offizielle Schweizer Studie bestätigt, dass Konzertsäle zu den sichersten Aufenthaltsorten überhaupt zählen.“
Auch die Lockerungen überzeugen den gebürtigen Münchner nicht vollends: „Diese Verordnungen gelten in der Regel etwa vier Wochen, selbst an mittelfristiger Sicherheit haben wir also wenig hinzugewonnen.“ Dennoch seien diese „ein Schritt in die richtige Richtung“. Doch auch hier zeigt sich erneut, dass die 3G-Regeln noch einige Fragen offenlassen, wie etwa beim Kartenverkauf: „In Ermangelung einer gültigen Verordnung für die jeweiligen Veranstaltungstage sind wir im Moment ohnehin gezwungen, mit der vollen Kapazität zu planen. Aber natürlich sind wir auch flexibel genug, uns den jeweiligen Vorgaben anzupassen.“
Kulturmanager Till Hofmann, der unter anderem das Lustspielhaus und die Lach- und Schießgesellschaft betreibt, hofft indes, „dass die Leute wieder den Mut fassen, Veranstaltungen zu besuchen“. Gerade kurzfristige Ticketerwerbungen seien jetzt wichtig – doch das dauere noch. Auch deshalb prognostiziert der Kabarettveranstalter „einen schwierigen Neustart für die gesamte Szene“. Ein weiteres Problem: Während der Pandemie sei viel Personal „in sichere Jobs mit attraktiveren Arbeitszeiten abgewandert“.
Doch ausgerechnet jetzt herrsche „ein erhöhter Personalbedarf“, etwa bei Eingangskontrollen oder um dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsmaßnahmen weiter eingehalten werden. Veranstalter müssten deshalb „höhere Kosten bei weniger Einnahmen“ einplanen, so Hofmann weiter.
Vollends überzeugt hat die 3G-Regel die Verantwortlichen der Münchner Kunst- und Kulturbranche also noch nicht. Dafür bleiben schlichtweg zu viele ungeklärte Fragen offen – ein Problem, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Pandemie zieht. Die Hoffnung ruht einmal mehr auf der Zukunft.