„Grand Tour“ – die sogenannte Reise ist eine Urmutter des Tourismus. Junge Herrn aus guter Familie oder von Adel machten sich im 19. Jahrhundert auf den Weg – in der Regel nach Italien –, um ihre Bildung zu vervollständigen, ihren Horizont zu erweitern und sicherlich auch um unbeobachtet über die Stränge zu schlagen. Aber was soll „Grand Tour XXL“ sein? Mit diesem Titel lädt das Münchner Stadtmuseum zu seiner aktuellen Schau über den „Reisekünstler Emel’jan Korneev“ ein.
Ein Blick auf die Vita des 1780 geborenen Russen (im heute ukrainischen Chorol) und die Landkarte im Stadtmuseum bestätigen das XXL sofort – und dabei zeigt die Karte „nur“ Europa und Russland bis zur chinesischen Grenze. Kurzum, Korneev war kein verwöhntes Bürschchen auf Tour; er war vielmehr ein Profikünstler, der zunächst als gewissermaßen Bildberichterstatter eine vom Zaren beauftragte Expedition 1802/03 durchs Reich inklusive Sibirien dokumentierte. Dabei ging es nicht nur um Landschaften, sondern auch um die Menschen, Ethnien und deren Gebräuche, Trachten etwa von Tatarinnen oder Armenierinnen (gesammelt von der Von Parish Kostümbibliothek) und Räumlichkeiten – bis hin zum Saal der trinkfreudigen „Versammlung sibirischer und chinesischer Händler“ ganz weit im Osten. Dieses russische GroßPanorama ist wenigstens noch in prachtvollen Büchern mit Druckgrafiken vorhanden: „Les peuples de la Russie“. Aber der Künstler Emel’jan Korneev setzte nach 1803 erst so richtig zu seiner XXL-Tour an.
Konstantinopel, Kleinasien, das osmanische Griechenland standen auf dem Programm; 1805 dann endlich Italien – trotz Napoleonischer Kriege (!); und von 1819 bis 1821 umsegelte er die Welt. Traurig für uns: Viele Werke, die bei diesen Reisen entstanden sind, gelten als verschollen oder durch eine Sturmflut in St. Petersburg zerstört. Aber Korneevs Süditalien hat es nach München geschafft, und sein Griechenland nach Berlin. Und zwar nicht in Drucken, sondern in wunderschönen, traumsicher lavierten, teils kolorierten Aquarellen. Korneev war ganz auf der Höhe der europäischen Landschaftsdarstellung seiner Zeit.
Durch den Bayern Graf Carl von Rechberg – sein Bruder war Botschafter am Zarenhof – kam ein extrem rares Konvolut von Kunstwerken ans Stadtmuseum. Dessen grafische Sammlung ist ja genauso ein unterschätzter Schatz wie viele andere Sammlungen des Museums. Jedenfalls wurden die kostbaren Blätter gehegt und gepflegt, sodass der jetzige Sammlungsleiter Graphik/Gemälde, Nico Kirchberger, aus dem Vollen schöpfen und wissenschaftlich arbeiten konnte. Zusammen mit den Berliner Leihgaben entstand eine anregende Ausstellung, die nicht nur Italien-Sehnsüchtige und Philhellenen begeistern wird.
Korneev zeichnete unmittelbar auf große Blätter in den jeweiligen Gefilden, egal ob es dort glühend heiß oder unbequem war. Ab und an zeigt er sich selbst, wie er auf Gelände und antike Ruinen blickend werkelt; meist einen Helfer an der Seite, der schon mal den Sonnenschirm hält. Emel’jan Korneev, der wohl nach 1839 starb, bringt deswegen bei aller Eleganz ein munteres Leben in seine Ansichten.
Pointiert kontrastiert hat sie Kirchberger mit Fotografien von Jonathan Danko Kielkowski (Jahrgang 1988). Sie erzählen von den trostlosen, gespenstischen Ruinen, verlassenen Orten und vom Technikmüll unserer Zeit: auf Spitzbergen, in Kasachstan und Italien. Dort schaffte er es gegen den Willen der italienischen Behörden auf das Wrack der Costa Concordia, bevor sie völlig ausgeschlachtet wurde. Auch auf Kielkowskis Grand Tour kann man viel lernen.
Bis 30. Januar 2022,
Mo.-So. 10-18 Uhr; Telefon 089/23 32 79 79;
Katalog, Deutscher Kunstverlag: 29,90 Euro.