„Die Nase ist an allem schuld.“ Hätte Edmond Rostand (1868-1918) dem historischen Cyrano de Bergerac (1619-1655) nicht einen enormen Gesichtsvorbau angedichtet und diesen zum Komplex einer tragisch heimlichen Liebe zur Cousine Madeleine alias Roxane gemacht, es würde sich wohl keiner mehr an den Gascogner Kadetten, Dichter und Libertin mit dem unechten Adelstitel erinnern. Als schwungvolle Komödie (1897) jedoch, das romantische Duell zwischen schönem Geist (Cyrano) und schönem Aussehen (Christian), garantiert der Titelheld bis heute volle Säle.
„Dein Name im Spielplan ist nur für die Kassen,/ Und nicht mehr für die Revolution der Klassen“, dichtet das italienische Theaterduo Antonio Latella und Federico Bellini. Schlechte Reime sind im bis auf die Publikumstribüne leeren, hell erleuchteten Marstall Programm, schließlich haben der „Drei Musketiere“-Regisseur und sein Co-Autor wie Dramaturg Cyranos Muse Roxane gestrichen. Wie auch den ganzen Rest der knapp fünfzig Sprechrollen nebst Dutzenden von Statisten. Was bleibt, ist ein Duo für zwei hemmungslos komische Schauspieler, die sich nach dem übersprudelnden Motto „Das Wort ist im Theater frei“ zwischen Deutsch, Französisch, Italienisch, vier Jahrhunderten, Cembalo und Chill-out-Bässen in ein wahnwildes Wortgefecht stürzen.
Man spielt das Stück nicht, man spricht darüber: in ego-streichelnden Monologen und unersättlichen Assoziationen, über das Wesen des Souffleurs etwa oder den Kulturraum der Nase, lebhaft vorgeführt an silikonplastischen Charakterstudien zwischen Commedia dell’arte und „Comédie bavaroise“. Das Versprechen einer „Bearbeitung für zwei Einsamkeiten“ indes ist als poetischer Abgrund allzu hochgestapelt. Witz hingegen, von intelligent bis albern, ist in den beiden maximal selbstreflexiven Theaterstunden reichlich, zuweilen in provokativ ironischer Überlänge vorhanden. Aus der Ménage-à-trois wird ein Pas-de-deux.
Im fantasievollen Kräftemessen: Florian von Manteuffels wehleidig naiver Cyrano in schwarzem Samt wie Gender-Wahn und Vincent Glanders Christian, ein pfiffiger Haute-Couture-Bariton in pinkfarbenen Pluderhosen (Kostüme: Graziella Pepe). Der wirkt zudem als feiner Herr über zwei ferngesteuerte Modelle von Residenz- und Cuvilliéstheater (Bühne: Giuseppe Stellato). Was nun entbrennt, spiegelt den Konflikt zwischen den Duellanten: der originelle Wettstreit der drei Spielstätten des Staatsschauspiels. An dessen Ende gewinnt der Marstall gegen Glanz und Renommee – als freier Raum der schönen Illusion.
Nächste Vorstellungen
am 29. September, 13. Oktober; Karten unter www.residenztheater.de.