Freddy Quinn, das war kein Star, das war eine Institution, ein unverzichtbares Ensemblemitglied der alten Bundesrepublik. Ein halbes Jahrhundert war er der Inbegriff des Hamburger Jungen, der mit viel Seele das Meer, ferne Länder und die Liebe zur Heimat besingt. Die Sache ist nur: Freddy Quinn, der heute seinen 90. feiert, ist weder aus Hamburg, noch Seemann, und deutsche Lieder wollte er ursprünglich auch gar nicht singen. Ob es Strategie gewesen ist oder sich einfach so ergeben hat – wer weiß das schon bei Freddy Quinn, diesem undurchdringlichen Mysterium der deutschen Unterhaltung.
In Wahrheit weiß man nur wenig über Quinn, im Grunde nichts, was als absolut gesichert gelten könnte. Bei einem Mann, der beinahe sein gesamtes Erwachsenenleben über im Licht der Öffentlichkeit stand, mehr als erstaunlich. Es fängt schon beim Geburtsort an. Niederfladnitz wird oft angegeben, ein österreichisches Kaff an der Grenze zu Tschechien. Quinn selber behauptet, es wäre Wien, und hartnäckig hält sich das Gerücht, es sei in Wahrheit Pula in Istrien gewesen. Zuerst heißt er Franz Nidl, dann, nach der erneuten Heirat der Mutter von Petz und schließlich doch wieder Quinn nach seinem leiblichen Vater, einem Iren.
Dem verdankt der junge Freddy mutmaßlich sein Leben, jedenfalls schildert das Quinn so. Weil er nämlich zunächst beim Vater in den USA aufwächst, spricht er fließend Englisch und kann die US-amerikanischen Soldaten, die ihn bei Kriegsende auf der Flucht aufgabeln, davon überzeugen, kein deutscher Soldat zu sein, sondern Amerikaner. Man sieht: Schon der junge Freddy Quinn hantiert recht freihändig mit Fakten. Wegen seiner ungeklärten Identität landet er schließlich in Belgien und weiß nur eines: nach Hause zum verhassten Stiefvater will er auf gar keinen Fall. Er haut ab, vagabundiert durch Europa und Nordafrika. Weil er minderjährig ist, immer gesucht von der Polizei. Auf alle Fälle erzählt Quinn das so; wie genau es war, weiß außer ihm niemand.
Dass er beim Zirkus jobbt und früh als Musiker Geld verdient, darf als wahrscheinlich gelten, alles andere verschwimmt zum Mythos, den Quinn gekonnt anfeuert, um sein Image zu unterfüttern. Denn der geschilderte Werdegang passt natürlich wie die Faust aufs Auge zum sehnsuchtsvollen Interpreten melancholischer Weisen, die geschickt zwischen Fernweh und Heimweh pendeln. Freddy, der Österreicher, wird zum Inbegriff des singenden Nordmanns, obwohl er eigentlich lieber angloamerikanische Standards und Country interpretiert.
Als Quinn 1956 mit „Heimweh“ erstmals aufschlägt, drehen alle durch, er setzt als erster deutscher Künstler mehr als eine Million Platten ab. In der Folge bricht eine regelrechte Quinn-Mania aus. Er dominiert mit seiner trainierten Baritonstimme die Hitparaden und legt Klassiker vor, die heute noch jeder mitsummen kann: „Schön war die Zeit“, „La Paloma“ und natürlich: „Junge, komm bald wieder“. Wie das damals so üblich ist, strickt man Quinn noch schnell ein paar Filme auf den Leib. Er spielt in der Regel den lakonischen Strandbarden mit Fern- oder Heimweh, je nachdem.
Als in den Sechzigerjahren die wilden Rocker aus Großbritannien und den USA die Musikindustrie aufmischen, wirkt Freddy plötzlich wie ein Dinosaurier, und er selbst hat zunehmend Schwierigkeiten, halbwegs glaubwürdig die immer gleiche Rezeptur zu variieren. Leicht verbittert wirft er das Lied „Wir“ auf den Markt, in dem er über langhaarige Gammler herzieht und schießt sich damit ins Aus.
Quinn sieht seinen Fehler ein und sattelt langsam um auf Allround-Entertainer. Denn natürlich kann er auch souverän Sendungen moderieren, schauspielen oder artistische Kunststücke vorführen. Berühmt werden seine halsbrecherischen Auftritte bei „Stars in der Manege“, kein anderer Künstler traut sich das, was Freddy da vorführt. Quinn ist präsent, aber niemand weiß irgendetwas über ihn. Politisch hält er sich zurück, weil er seinen Fans keine Meinung oktroyieren will, wie er erklärt. Dass er verheiratet ist, erfährt man erst 2004 bei einem Gerichtsverfahren wegen Steuerhinterziehung; seine Frau ist auch seine Managerin, sein Leitstern, wie Quinn damals erklärt, seit 1956 sind sie zusammen.
2005 geht der Star ein letztes Mal auf Tournee, möglicherweise auch, um die Steuerschulden wieder reinzuholen. Als seine Frau 2008 stirbt, zieht er sich komplett zurück. Manchmal gibt Freddy Quinn völlig überraschend Interviews, in denen er die aktuelle deutsche Unterhaltungsszene genüsslich in die Tonne tritt und verschwindet dann wieder spurlos. Heute wird Freddy Quinn, der große Geheimnisvolle, 90 Jahre alt und kann zufrieden sein: Er ist Herr über sein Bild geblieben.