Ihr letzter Satz auf Erden sagt alles über diese Frau. „Adieu, meine Freunde, ich fahre dem Ruhm entgegen.“ Das ruft Isadora Duncan (1877-1927) am 14. September 1927 gegen 21 Uhr auf der Promenade des Anglais in Nizza aus dem flotten Sportwagen des künftigen Formel-1-Rennfahrers Benoît Falchetto. Wenige Sekunden später ist sie tot. Ihr langer, im Wind flatternder Schal hatte sich in den Speichen eines Hinterrades verfangen, sich mit einem Ruck an ihrem Hals zusammengezogen – und ihr das Genick gebrochen. Es ist das abrupte Ende des Lebens einer großen Tänzerin (Foto: University of California/Wikipedia).
Michaela Karl hat dieser „unglücklichen Göttin des Tanzes“ eine Biografie gewidmet. Weil Isadora Duncan perfekt in die Riege der außergewöhnlichen Damen und Herren passt, die die Schriftstellerin zuvor in ihren genau recherchierten und launig erzählten Werken porträtierte. Immer halten Michaela Karls Bücher, was die originellen Titel versprechen. Ob ihre Biografie über Dorothy Parker („Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber“), Zelda und F. Scott Fitzgerald („Wir bre- chen die 10 Gebote und uns den Hals“) oder Maeve Brennan („Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen“).
Nun also Isadora Duncan. Der Titel bringt ihre Einstellung zum Leben auf den Punkt: „Lasst uns tanzen und Champagner trinken – trotz alledem!“ Isadora Duncan, der erste weibliche Superstar des 20. Jahrhunderts, war „eine champagnertrinkende Rebellin mit Hang zum großen Drama und den falschen Männern“, so beschreibt es Karl an einer Stelle. Mit ihr fliegen wir über 441 mitreißende Seiten durch dieses Abenteuer von Leben einer ewig Suchenden. Weder die jungen Liebhaber noch die edlen Tropfen konnten den Durst der Duncan stillen. Einzig im Tanz fand sie zu sich.
Isadora Duncan wehrte sich gegen kodifizierte Bewegungsabläufe des klassischen Balletts. Natürlichkeit war ihr das oberste Ziel. Tanz als Befreiung. Und so wenig sie sich in ein vorgegebenes Korsett von Regeln zwängen ließ, so wenig schränkte sie sich in Modefragen ein. In einer Zeit der Schnürmieder wählte die Duncan wallende Gewänder und Sandalen. Und gilt als eine der einflussreichsten Kleidungsreformerinnen der Jahrhundertwende. „Frauen in Badeanzügen sind letztlich auch ihr Werk“, schreibt Michaela Karl.
Immer porträtiert die Autorin Menschen, die anders waren als andere. Kompromissloser, starrsinniger, leidenschaftlicher, chaotischer, flatterhafter. Menschen, die oft hinfielen, noch öfter wieder aufstanden; Feuerteufel, die ihre Lebensschnur von beiden Seiten aus entzündeten. Michaela Karls Bücher sind gespickt von klugen Sprüchen dieser außergewöhnlichen Gestalten. Und erzählen wie nebenbei höchst lebendig (Kultur-)Geschichte.
„Die Menschen leben heutzutage nicht. Sie holen nur etwa zehn Prozent aus ihrem Leben heraus“, sagte Isadora Duncan einmal. Nach dieser Lektüre ist man geneigt, ein paar mehr Prozent draufzulegen. Besser das Risiko eingehen zu verbrennen – als nie für etwas gebrannt zu haben.
Michaela Karl:
„Lasst uns tanzen und Champagner trinken – trotz alledem! Isadora Duncan. Eine Biografie“.
btb Verlag, München,
441 Seiten; 24 Euro.
Heute Abend stellt Karl ihr Buch um 19.30 Uhr im Künstlerhaus am Lenbachplatz in München vor; Infos bei der Moths Büchergilde unter 089/29 16 13 26.