Blutige Bilder im Kopf

von Redaktion

Zentraltheater: „Clockwork Orange“

VON MELANIE BRANDL

„Mobbing, Blut, Sex, Tod …“ Die vier Hauptdarsteller, in Schwarz gekleidet, lehnen lässig an der Rückwand der leeren, dunklen Bühne und begrüßen die Zuschauer des Münchner Zentraltheaters chorisch mit dem, was sie – wie sollte es bei Anthony Burgess’ „Clockwork Orange“ anders sein? – an diesem Abend erwartet. Sie sind alle Alex, mal gleichzeitig, mal abwechselnd, sie prügeln sich und andere, sie exerzieren die Gewalt um der Gewalt willen, sie beatboxen und rülpsen, vor allem aber erzählen sie aus Alex’ Sicht von ihrem brutalen, armseligen und schändlich-schaurigen Dasein am unteren Ende der Gesellschaft.

Regisseurin Lea Ralfs hält sich nah an Stanley Kubricks Kultfilm aus den Siebzigern, bietet aber auf der winzigen Bühne gleichzeitig gemeinsam mit ihrem Ensemble – Thimo Meitner, Franz-Xaver Zeller, Philipp Weigand und Lina Witte – ein Theatererlebnis, das mit dem Original an Intensität locker mithalten kann. Ralfs benötigt dazu bis auf wenige Raufszenen keine sichtbare Brutalität, kein Theaterblut oder schräge, verkünstelte Kostümierung. Allein der klug konzipierte Text (Übersetzung: Ulrich Blumenbach), die unglaubliche Bühnenpräsenz der Darsteller und ihre Spielfreude, mit der sie in Figuren und Szenen hinein- und wieder hinausspringen, schaffen Bilder im Kopf der Zuschauer, die so lebendig sind, dass sie noch lange nachwirken.

Genial ergänzt wird das Ganze von Gitarrist Oliver Mirwaldt und dem mitreißenden Bürgerchor Integra, acht jungen, weiß gekleideten Leuten, die mit Geräuschen, Sounds und Melodien vom Toten-Hosen-Song „Hier kommt Alex“ bis zu Beethovens Neunter eine Akustik-Kulisse zaubern, die jegliches Bühnenbild überflüssig macht. Das Beeindruckendste: Ohne die Gewalt zu verherrlichen oder die von der Regierung an Alex ausgeübte Gehirnwäsche zu verharmlosen, gelingt es Ralfs, die Absurdität, mit der jeder – Staat und Individuum – seine Vorteile gnadenlos durchsetzt, durch bitterbösen, schwarzen Humor bloßzustellen. Wenn auch das Lachen fast im Halse stecken bleibt, den riesigen Jubel lässt das begeisterte Publikum am Ende lautstark heraus – völlig zu Recht!

Weitere Vorstellungen,

am 6. und 7. Oktober im Zentraltheater, Paul-Heyse-Straße 28; Karten unter www.zentraltheater.de.

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