„Einfach anfangen und tanzen“

von Redaktion

Die Choreografin Sasha Waltz über ihr Münchner Gastspiel

VON TERESA GRENZMANN

Lange hat München auf sie gewartet, nun gastiert Sasha Waltz in der Muffathalle: mit „In C“, einem neuen, puren Tanzstück, das wohl noch viel von sich hören lassen wird. Weil es die Möglichkeiten zwischen Choreografin sowie Tänzerinnen und Tänzern, Ensemble und Individuum, Raum und Bewegung im zukunftsgewandten, dynamischen, demokratischen Prozess auslotet. Dem choreografischen Material zugrunde liegt Terry Rileys Minimal-Music-Partitur „In C“ von 1964 mit ihrer Folge von 53 kurzen Figuren in C-Dur.

Diese Variationen hat Sasha Waltz visualisiert, orientiert an Mustern aus Natur und Tierreich, und dazu 53 „Raumregeln“ geschrieben. Gesetzmäßigkeiten, die jeder Tanzende individuell und variabel wiederholen darf, solange er sich dabei nicht mehr als vier, höchstens fünf Figuren hinter den anderen befindet.

„Es ist eine Heirat zwischen Improvisation und Choreografie“, sagt Sasha Waltz im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das Ganze ist eigentlich ein Spiel mit diesen Regeln. Und das Herausfordernde ist der Raum. Jede Aufführung ist anders.“ Routine dürfe nicht passieren. Jeder Einzelne bestimme, was auf der Bühne passiert, zu jedem Zeitpunkt. Dabei dürfe das Individuelle jedoch das Gesamte nicht verletzen.

„Die Freiheit des Einzelnen ist immer nur in Beziehung zum Ganzen zu sehen“, betont die 1963 in Karlsruhe geborene Choreografin und weist dabei auf die Parallele zur Pandemie hin. Im zweiten Lockdown nämlich ist „In C“ entstanden. Die desolate Lage vieler freier Tänzerinnen und Tänzer, die Kontaktverbote und räumlichen Trennungen innerhalb der internationalen Kompanie Sasha Waltz & Guests führten zu einer neuen Art der Einstudierung anhand von Videos und – als es wieder möglich war – darauf aufbauender Workshops. Damit können freie Künstlerinnen und Künstler zugleich dank digitaler Hilfsmittel selbst als Tutor von „In C“ arbeiten. In einer vereinfachten Version übrigens auch mit Kindern und Amateuren.

„Man braucht kein Umfeld. Man kann einfach anfangen zu tanzen“, sagt Sasha Waltz. Seit der Premiere am 6. März im digitalen Livestream aus dem Radialsystem in Berlin haben 50 Tänzerinnen und Tänzer das Prinzip von „In C“ gelernt und in immer neuen Konstellationen aufgeführt. Dank des aus der Not geborenen, mittlerweile weltweit etablierten hybriden Formats wird sich diese Zahl schon bald vervielfachen.

Sasha Waltz wünscht sich, dass sich das Stück „wie ein Organismus“ von Indien über Mosambik bis Mexiko ausbreitet und in landeseigenen kulturellen Färbungen weiterentwickelt. Auch musikalisch: Momentan tourt es mit der etwa 50-minütigen Interpretation der experimentellen New Yorker Musikgruppe Bang on a Can. Doch denkbar sind unterschiedliche Einflüsse und Orchestrierungen.

Gemeinsam atmen, auch mit den Zuschauenden, Lebensmut und -lust transportieren, die Krise mit etwas Positivem beleben – für Sasha Waltz tanzt mit „In C“ ein Bild von Blumen, die blühen und ihre Samen über die Welt verbreiten.

Vorstellungen

am 5. und 6. Oktober in der Muffathalle, Karten im Internet über www.eventim.de.

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