Die größte geisteswissenschaftliche Tagung in Europa gastiert ab heute in München – aber nur virtuell. Normalerweise ist der Historikertag, der alle zwei Jahre in einer anderen Stadt stattfindet, ein Großereignis mit mehreren tausend Wissenschaftlern. 2020 wäre München an der Reihe gewesen. Wegen der Corona-Pandemie wurde der 53. Historikertag zunächst um ein Jahr verschoben – um nun, da sich die Pandemie noch nicht verflüchtigt hat, doch nur weitgehend im Netz stattzufinden: Unter www.historikertag.de gibt es bis zum Donnerstag rund 160 Veranstaltungen, zum Teil als Zoom-Termin, zum Teil als Stream. Dafür ist die Aula der Ludwig-Maximilians-Universität zu einem mittleren Filmstudio umgebaut worden. „Der Livestream wird Fernsehqualität haben“, verspricht Sprecher Martin Zimmermann. Bis gestern lagen schon über 2500 Anmeldungen vor, 600 davon von Schülern, und stündlich wurden es mehr.
Die Historikertage waren in der Vergangenheit schon öfter Schauplatz erbittert ausgetragener Konflikte. Unvergessen eine Veranstaltung in Frankfurt, auf der junge kritische Wissenschaftler mit der NS-Vergangenheit der eigenen Zunft abrechneten – da saßen dann die Schüler über ihre Lehrer zu Gericht. Solche Streitigkeiten sind diesmal nicht zu erwarten, in der Geschichtswissenschaft geht es derzeit ruhiger zu. Einzig um die Verantwortung des Herrscherhauses der Hohenzollern für den Nationalsozialismus und der Zeit danach gibt es aktuell eine breite, auch öffentlich wahrgenommene Kontroverse. Aber das spielt, da die Argumente ausgetauscht scheinen, auf dem Historikertag nur eine untergeordnete Rolle.
Hauptthema der altehrwürdigen Veranstaltung sind diesmal „Deutungskämpfe“. Da geht es um historische Geschlechterrollen, aber auch um den Brexit oder die US-Wahlen unter historischem Blickwinkel. Aus dem Partnerland Israel werden viele israelische Wissenschaftler zugeschaltet – alles in ruhigen Bahnen. Auch der Schriftsteller David Grossman wird am Donnerstag an einem Gespräch teilnehmen. „Wir erwarten geordnete wissenschaftliche Auseinandersetzungen“, sagt Historikertag-Sprecher Martin Zimmermann.
Informationen
zum Programm und zur Teilnahme im Internet unter
www.historikertag.de/ Muenchen2021.