Der Schlager-Regent aus dem Wedding

von Redaktion

Roland Kaiser zieht erste Lebensbilanz

VON JÖRG HEINRICH

Auch wenn er nächstes Jahr 70 wird, denkt Deutschlands Schlager-Regent noch lange nicht ans Abdanken. Erst Ende September hat Roland Kaiser die Münchner Olympiahalle mit dem umjubelten ersten Nach-Corona-Konzert wiedereröffnet (wir berichteten). Heute erscheint seine Autobiografie „Sonnenseite“. Und fürs Fest hat er auch schon vorgesorgt, mit dem neuen Album „Weihnachtszeit“. So umtriebig wie der Kaiser Roland war früher nur der Kaiser Franz.

In den überaus lesenswerten Erinnerungen zieht Kaiser die (Zwischen-)Bilanz seines von Beginn an bewegten Lebens, das im Berliner Arbeiterkiez Wedding beginnt. Seine erst 17-jährige Mutter Vera legt ihn mit vier Wochen vor einem Krankenhaus ab. Ronald „Ronny“ Keiler wächst bei Pflegemutter Ella auf, im Hinterhaus mit Muckefuck und Toilette auf dem Flur. Die Pflegemutter stirbt, als der Steppke 15 ist, er zieht um zu Tante Lisbeth – und blickt trotzdem dankbar zurück: „Meine Welt war in Ordnung.“

Weil der junge Keiler clever ist, hat er die Wahl zwischen einer Management-Karriere bei Ford – und dem Singen, das er für eine halbseidene Angelegenheit hält: „Dazu mit’n Hüften wackeln, ohne uff de Neese zu falln. Is leicht verdientes Geld, wa?“ Er versucht es trotzdem – und landet 1977 aus Versehen seinen ersten Superhit. Weil Rex Gildo keine Lust hat, das „hohle Humtata-Rambazamba-Schunkellied“ (Kaiser) „Sieben Fässer Wein“ zu singen, schafft der einstige Ronny damit den Durchbruch. Zum Kaiser erhebt ihn Produzent Thomas Meisel: „Ein Keiler ist ein Wildschwein. Das ist doch kein Künstlername.“

Die nächsten Jahrzehnte erzählt das Buch als wahrlich atemberaubende Achterbahnfahrt: Superhits („Santa Maria“) und Karriereflaute, neuer Erfolg als TV-Produzent („Schreinemakers Live“, „RTL Samstag Nacht“). Doch dann bleibt Kaiser die Luft weg. Acht Jahre versucht er, die Lungenkrankheit COPD zu verheimlichen, hängt 16 Stunden täglich am Sauerstoff und kämpft sich mit lila angelaufenen Lippen durch seine Auftritte. 2010 die Lungentransplantation, das zweite Leben: „Zum ersten Mal sah meine Tochter ihren Vater nicht mehr wie einen Alien.“

Heute ist er noch erfolgreicher als in den goldenen Siebzigern. Ob es nun unbedingt ein weiteres Weihnachtsalbum braucht, auch als umsatzfördernde Fanbox mit Roland-Christbaumkugel und Kaiser-Keksausstecher, sei dahingestellt. Geschmackvoll arrangiert sind Klassiker wie „Winter Wonderland“ oder „Happy Xmas“ mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl allemal. Im vorletzten Lied erweist Kaiser Louis Armstrong die Reverenz und singt „Wunderbar ist die Welt“. Wer möchte dem widersprechen, bei so einem kaiserlichen Leben?

Roland Kaiser:

„Sonnenseite“. Heyne, München, 400 S.; 20 Euro.

Album: Roland Kaiser: „Weihnachtszeit“ (Sony).

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