In 14 Räumen um die Welt

von Redaktion

AUSSTELLUNG „Kollektive der Moderne – Gruppendynamik“ im Lenbachhaus

VON SIMONE DATTENBERGER

„Zunächst hatten wir eine gigantische Liste von Künstlergruppen“, erzählt Karin Althaus schmunzelnd. Sie zählt zu dem siebenköpfigen Kuratorenteam im Lenbachhaus, das mit extrem engagierter Hilfe der Kolleginnen aus dem Ausland gewissermaßen die Weltkugel empor-stemmt. Die Idee der Kulturstiftung des Bundes sei es gewesen, von der Sammlung des eigenen Hauses ausgehend einen Blick auf die globale Kunst zu werfen. Und da in Münchens Städtischer Galerie die Gruppe „Der Blaue Reiter“ das Alpha und Omega ist, hielt man Ausschau nach ähnlichen Verbünden: bis auf eine Ausnahme nicht in Europa und Nordamerika, sondern auf den anderen Kontinenten. Gefunden wurden viele, die sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts aufmachten, neue Wege für sich, ihre Heimat, ihre Kultur zu bahnen.

Die Auswahl für die Schau „Kollektive der Moderne – Gruppendynamik“, so Althaus, folgte bestimmten Kriterien: Wie exemplarisch ist die Gemeinschaft? Hat sie eine gesellschaftliche Utopie? Und natürlich sollten die Gruppen unterschiedlich sein. Deswegen sind die Geschichten und Kunstwerke von folgenden Teams nach München gereist: „Action“, Tokio; „Artistas del Pueblo“, Buenos Aires; „Bombay Progressive Artists’ Group“, heute Mumbai; „Casablanca School“, „Crystallists“, Khartum; „Grupa a. r.“, Lódź; „Grupo dos Cinco“, São Paulo; „Khartoum School“; „Kokuga Sosaku Kyokai“, Kyoto; „Lahore Art Circle“; „Martín Fierro“, Buenos Aires; „Mavo“, Tokio; „Nsukka School“ sowie „Wuming Huahui / Gruppe ohne Namen“, Beijing.

Die Pandemie erschwerte die Arbeit; jetzt ist das vergessen, denn „Kollektive der Moderne“ treten im Lenbachhaus munter in einen lebendigen Dialog mit der anderen „Gruppendynamik“-Ausstellung im Museum: der des „Blauen Reiter“. Dessen Künstlerinnen und Künstler waren ebenso neugierig auf die weite Welt und die Vielfalt der kulturellen Äußerungen. Das war für die Kollegen zwischen Buenos Aires und Tokio meist noch viel wichtiger. Sie lebten oft in kolonialen Strukturen, in starren Verhaltens- und Kunstmustern, in Ländern, wo indigene Kunst verdrängt worden war. Hier sollte das Zusammenarbeiten mit Gleichgesinnten Kraft und Unterstützung geben. Man wollte die eigenen Traditionen hochhalten, die Moderne des Westens nutzen, um dann eine spezifische Moderne zu schaffen. Die brasilianischen „Anthropophagen“ (Menschenfresser) postulierten das mit ihrem Namen humorvoll drastisch.

Drei Themenräume führen in den Kosmos der Kollektive ein mit dem Fazit: Alles ist möglich, wie ein afrikanischer „Schwitters“ (Dokumentarfilm) beweist, alles ist mit allem verbandelt, und allen war die Kunstvermittlung wichtig. Das bedeutet für Betrachterinnen und Betrachter, sich locker zu machen und überraschen zu lassen. Dafür sorgt auch die lässige, kluge, unaufdringliche und dezent verschmitzte Ausstellungsarchitektur der Berliner Kooperative für Darstellungspolitik: Wenn man den ersten Gruppenraum betritt, der der nigerianischen „Nsukka School“ gewidmet ist, fällt einem neben den kraftvollen Gemälden vor allem eine Zickzack-Wand auf – mit Schriftstücken, Bildschirm und Fotos. Und die zeigen die Verbindung; es sind die Paravents der Igbo-Frauen, bemalt mit imposanten und so eigenständigen Zeichen („uli“) – dass die Arbeiten der Männer, die sich davon inspirieren ließen, überhaupt nicht mithalten können. Ob die Reise-nach-Jerusalem-Anordnung der Stühle dort Zufall oder ironischer Kommentar ist?

Vieles in der bunten Exposition berührt einen menschlich tief. Das war auch ein Ziel der Präsentation, so Karin Althaus. Der einzelne Mensch sollte im Mittelpunkt stehen; natürlich erfahren wir aus den knappen Wandtexten etwas über die politischen und sozialen Umstände. Dennoch ist unsere Fantasie und Empathie immer gefordert. Da spalten sich Indien und Pakistan nach der Befreiung von der Kolonialherrschaft. Die „Bombay Progressive Artists’ Group“ und der „Lahore Art Circle“ sind getrennt. Die Gemälde in diesem Lenbachhaus-Raum beweisen jedoch das Gegenteil: Nichts reißt die Kunst auseinander. Ein Glücksmoment durchflutet einen.

Noch rührender als die pakistanisch-indischen Brüder – es gibt tatsächlich ein solches malendes Paar – sind die Chinesinnen und Chinesen der „Wuming Huahui / Gruppe ohne Namen“. Sie, Frauen und Männer, Alte und Junge, bezaubern durch duftige, anmutige kleine Bilder. Geleistet haben sie indes Riesiges. Sie hegten und pflegten ausdauernd, solidarisch und stets gefährdet unter dem Radar der extrem kunstfeindlichen Kulturrevolution insgeheim den Freiheitsschatz namens Malerei. Und uns wird plötzlich klar: In jedem einzelnen Ausstellungsraum ist dieser Schatz der Freiheit, der uns so selbstverständlich vorkommt, zu bewundern.

Bis 24. April 2022,

Di.-So. 10-18 Uhr;

089/23 39 69 33; weitere Infos unter www.lenbachhaus.de.

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