In den vergangenen Jahren hat sich der Berliner Schriftsteller Max Annas („Finsterwalde“, „Illegal“) mit exzellenten Krimis einen Namen gemacht, die in der DDR spielen. Jetzt blickt er in „Hochsitz“ quasi über die Mauer, hinein in die Bundesrepublik der späten Siebziger, ganz tief in die westdeutsche, von RAF-Fahndungsplakaten zugepflasterte Provinz.
In einem kleinen Ort in der Eifel leben Sanne und Ulrike. Die Teenager verbringen ihre Zeit, sofern sie nicht den Eltern auf dem Hof helfen müssen, am liebsten auf einem Hochsitz am nahe gelegenen Wäldchen. Von dort aus sehen die Mädchen einiges: den Bürgermeister und seine Geliebte genauso wie den namenlosen Lehrling mit seinen Liebschaften, den einzigen jungen Mann mit langen Haaren. Der wird prompt verdächtigt, als es zu Banküberfällen und anderen Verbrechen kommt. Manches verstehen Sanne und Ulrike noch gar nicht – und das macht die besondere Spannung dieses Romans aus.
Denn Annas erzählt seine ungewöhnliche Kriminalgeschichte aus dem Jahr 1978 aus wechselnden Perspektiven, etwa aus dem Blickwinkel dieser Schülerinnen, die sich für wahnsinnig klug halten, aber eigentlich eher an die Hanuta-Sammelbildchen für die Fußball-WM denken als an Jungs oder gar an Weltpolitik. Doch dass der Lehrling kein Bankräuber ist, das wissen sie genau.
Lebendig und mitreißend sind alle Erzählperspektiven, jede auf ihre Weise. Ein toller Kunstgriff, denn auf diese Weise erscheinen die Ereignisse, die den meisten Lesern noch durch eigenes Erleben, Geschichtsbücher oder vom Hörensagen vertraut sein könnten, wieder ganz frisch und spannend aufbereitet. Zwischen viel Siebziger-Nostalgie erzählt Annas aber auch von den dunklen Flecken jener Jahre. ULRIKE FRICK
Max Annas:
„Der Hochsitz“. Rowohlt, Hamburg, 272 S.; 22 Euro.