Normalerweise kocht die Stimmung im Saal und es gibt „Herbie“-Sprechchöre, bevor ein Herbert-Grönemeyer-Konzert beginnt. Im KKL Luzern dagegen herrscht kurz vor dem Auftritt gespannte Ruhe. Das Orchester hat schon Platz genommen. Dann öffnet sich die Seitentür. Und ein Herr – schwarzer Anzug, markante Hornbrille – betritt verlegen die Bühne. Das ist kein vertrautes Terrain für den 65-jährigen Künstler. Statt zum Mikrofon greift Grönemeyer an diesem Abend zum Dirigierstab. Und statt der Band im Rücken hat er das Luzerner Sinfonieorchester vor sich.
Mit dem Slawischen Marsch von Peter Tschaikowsky steht zunächst etwas dirigiertechnisch Überschaubares auf dem Programm. Grönemeyer schlägt einen klaren Vierer, mit der rechten Ferse klopft er den Takt mit. Das effektvolle, knallige, mit süffigen slawischen Melodien und großen Steigerungen ausgestattete Werk läuft ohne Pannen durch. Nach den triumphalen Schlussakkorden ist Herbert Grönemeyer die Erleichterung über den gelungenen Einstand anzumerken. In Bochum hat er einmal zur Eröffnung des neuen Konzertsaals Mozarts Jupitersymphonie geleitet. Mehr Erfahrung als Maestro besitzt er nicht. Und er tut in Luzern auch nicht so, als hätte er sie – diese Unsicherheit, seine Selbstironie und sein großer Respekt vor der Aufgabe und vor dem Orchester machen den ungewöhnlichen Auftritt sympathisch.
Dass in Luzern Russisches auf dem Programm steht, hat mit Grönemeyers baltischen Vorfahren zu tun. Seine aus Estland stammende Mutter sang ihm als Kind russische Lieder vor. Auch Grönemeyers Filmmusik zu „The American“ (2010) atmet dunkles russisches Pathos. Für Luzern hat sein langjähriger Keyboarder Alfred Kritzer eine streichergrundierte Suite arrangiert, die im KKL große Emotionen beschwört. Im Mittelteil wird sein Hit „Mensch“ orchestral aufgebläht und mit Pauken und Trompeten gefeiert. Grönemeyer taucht ein in seine Musik und bringt auch dieses Orchesterwerk zu einem sicheren Ende.
Mit Sergej Rachmaninows zweitem Klavierkonzert wird die dirigentische Aufgabe wesentlich anspruchsvoller. Anna Vinnitskaya steht ihm aber als erstklassige Pianistin zur Seite, die den Solopart klangschön zelebriert und auch eng mit dem Orchester kommuniziert. Herbert Grönemeyer dirigiert mit, hält das Tempo, dreht sich zu ausgewählten Pizzicati zu den Kontrabässen um und bleibt im Bilde. Manches klappert, aber vieles klappt. Im zweiten Satz bremst Grönemeyer gekonnt das Orchester, um die Solokadenz vorzubereiten. Auch im Finale verliert er trotz des schnellen Tempos nicht den Überblick.
Am Ende ballt Grönemeyer kurz die Faust und freut sich wie ein kleiner Junge. Den stürmischen Applaus lenkt er sofort auf die Solistin und das Orchester, die ihm bei diesem Abenteuer geholfen haben. Die Balladen „Halt mich“ und „Immerfort“ gibt es als Zugabe. Anna Vinnitskaya spielt den Klavierpart, das Luzerner Sinfonieorchester sorgt, dirigiert von Alfred Kritzer, für Opulenz. Herbert Grönemeyer singt seine Verse mit einem glücklichen Lächeln – und das elegante Luzerner Klassikpublikum feiert den Deutschen mit Standing Ovations, ausgelassen wie bei einem Rockkonzert.