Augen auf!

von Redaktion

Frank Schmolke realisierte Sebastian Fitzeks Psychothriller als Graphic Novel

VON MICHAEL SCHLEICHER

Wenn der Druck immens ist, kommt er manchmal ins Schwafeln, dieser Alexander Zorbach. Dann versucht er, durch ganz viele Worte den Stress loszuwerden. „Du wartest hier, Alina!“, verabschiedet sich der Ex-Polizist gerade von seiner Begleiterin. „Wenn ich in zwanzig Minuten nicht wieder hier bin…“ Zum Glück unterbricht Alina ihn in diesem Moment: „Mach’s nicht so kompliziert, komm’ einfach wieder zurück!“ Klare Ansage, gute Frau.

Zorbach, die Hauptfigur in Sebastian Fitzeks Thriller „Der Augensammler“, hat aber auch mächtig Probleme. Bulle darf/kann/mag er nicht mehr sein – und sein Job als Polizeireporter eines Berliner Boulevardblatts ist alles andere als krisenfest. Obendrein ist Zorbach frisch geschieden. „Klingt wie das Klischee einer Hollywoodfigur“, sagt er über sich selbst. Stimmt. Und ist doch zu kurz gedacht.

Um genau zu sein: 45 Stunden und sieben Minuten zu kurz. Eine Stoppuhr, stets eingestellt auf diesen Countdown, lässt in Fitzeks Roman ein Serienmörder in den Händen seiner weiblichen Opfer zurück. 45 Stunden, sieben Minuten bleiben nach der Tat, um die Kinder der Ermordeten zu retten. Ein brutales Ultimatum, das der „Augensammler“, wie ihn die Presse nennt, durch Hinweise an die Väter verschärft. Zorbach sucht den Unbekannten – oder ist es umgekehrt?

Sebastian Fitzeks Thriller erschien 2010, ein Bestseller. Jetzt hat der Münchner Comic-Künstler Frank Schmolke die Geschichte adaptiert. Dem 54-Jährigen ist ein spannendes, eindrucksvoll gezeichnetes, atmosphärisch dichtes und – das ist alles andere als selbstverständlich – von der Vorlage unabhängiges Werk geglückt. Selbst jene werden seine Graphic Novel gebannt lesen, die mit Fitzek nicht allzu viel anfangen können.

Auch der Autor ist begeistert: „Auf einmal war meine Fantasie real geworden“, erinnert sich Fitzek, der 1971 in Berlin geboren wurde, an jenen Moment, als er Schmolkes erste Entwürfe erhielt. „Manchmal war ich aber auch erstaunt darüber, wie Frank meine Geschichte gesehen hatte“, berichtet der Schriftsteller im Vorwort. „Und – das gestehe ich ganz offen – hin und wieder gefiel mir seine Sichtweise sogar besser als meine eigene.“ Das Buch sei ein „komplexes, eigenständiges Werk“.

Der Autor ließ dem Künstler freie Hand; Schmolke nutzte das. Der Münchner, der im vergangenen Jahr aus der schwachbrüstigen Netflix-/ZDF-Serie „Freaks“ einen berührenden (Anti-)Helden-Comic machte und der 2019 in „Nachts im Paradies“ seine Erfahrungen als Taxler zur Wiesn-Zeit hinreißend lustig, kriminell gut, packend und pointiert aufzeichnete, arbeitet nun erstmals in Farbe. Er findet dunkle, kräftig leuchtende Töne, die mal erdig warm, mal abstoßend kalt wirken. Das virtuose Spiel mit Licht und Schatten, geschult am Film noir, hat Schmolke in diesem Buch nochmals perfektioniert. Ungewöhnliche Perspektiven sowie angeschnittene Panels, Einzelbilder also, nutzt er dramaturgisch geschickt, um die Erzählung voranzutreiben und die Szenen miteinander zu verweben.

Zudem hat der Künstler die Charaktere Fitzeks zu seinen gemacht: Zorbach, den Mann mit dem „Humphrey-Bogart-Gedächtnislook“, lässt er immer wieder scharf an der Karikatur eines Großstadtwolfs in der Midlife-Crisis vorbeischrammen – und macht ihn gerade dadurch für die Leser interessant. Auch Alina, die blinde Seherin, ist eine typische Schmolke-Figur, Valerie aus „Nachts im Paradies“ ist ihre Schwester im Geiste: taff, klug, mit trockenem Humor – und selbst dann Herrin der Lage, wenn Zorbach die Nerven durchgehen.

Frank Schmolke/ Sebastian Fitzek:

„Der Augensammler“. Splitter Verlag, Bielefeld, 200 Seiten; 35 Euro.

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