Für „das verfluchte Schreiben“ hatte Olaf Gulbransson (1873-1958) wenig übrig. Ja, der begnadete Zeichner hielt es gar für „Unsinn“, weshalb er statt einer Signatur manchmal ein kleines Selbstporträt aus wenigen Strichen auf seine Werke setzte. Der gebürtige Norweger war 1902 nach München gekommen, um als Karikaturist für die berühmte Satirezeitschrift „Simplicissimus“ zu arbeiten, deren Stil er zusammen mit dem Kollegen Thomas Theodor Heine maßgeblich prägte.
Anders als Gulbransson hegt Gerd Holzheimer, ungeachtet seiner physiognomischen, verblüffend doppelgängerhaften Ähnlichkeit mit dem Künstler, keinerlei Abneigung gegen das Schreiben. Im Gegenteil: Rund 30 Bücher verfasste der Münchner Autor bisher. Und die Olaf-Gulbransson-Biografie, die Holzheimer nun vorlegt, fasziniert schon durch ihre liebevolle Gestaltung: Gedruckt auf schweres, edles Papier, enthält sie zahlreiche Abbildungen, zwischen denen der mäandernde, wohltuend subjektive Erzählfluss des Autors dahinrauscht.
Dass das gängige Bild, das man sich von dem Norweger macht, nicht ganz falsch ist, scheint sich dem Biografen beim sorgfältigen Quellenstudium bestätigt zu haben. Der Künstler mit dem kahlen Schädel war tatsächlich ein veritables Urviech: Am Grundstück um seinen Tegernseer Bauernhof lief er im Sommer meist nur mit einem Lendenschurz bekleidet herum, und im Winter frönte er, ganz Norweger, dem Skispringen, wozu er sich selbst eine Schanze baute. Neben den drei Frauen Inga, Grete und Dagny, mit denen Gulbransson (nacheinander) verheiratet war, hatte er immer wieder Liebschaften, und zudem war so ein Kerl natürlich dem Alkohol nicht abgeneigt. Besonders kurios ist in diesem Zusammenhang ein „Entschuldigungszettel“ von 1920, den Ludwig Thoma dem Freund und genialen „Lausbubengeschichten“-Illustrator Gulbransson mitgab, als der am Morgen nach einem gemeinsamen Trinkgelage aufbrach. Als Botschaft an die womöglich besorgte Gattin ist da zu lesen: „Gut Morgen, Olaf! Schönen Gruß an Grete, sie soll froh sein, daß wir Dich nicht als nassen Schwamm heimgeschickt haben. Gruß Ludwig“.
Aber nicht neben, sondern zugleich mit dem Künstler-Kraftlackel muss Gulbransson auch eine fast filigrane Seele gewesen sein, ein kontemplativer, also im Wortsinne betrachtender Mensch. Die ungeheure Sicherheit seines immer zarten Strichs, und der Mut, zwischen den Linien oft viel freie Fläche stehen zu lassen, erscheinen wie künstlerische Manifestationen dieses spezifischen Charakters.
Bei aller Begeisterung für Gulbransson verschweigt Holzheimer nicht die unschönen braunen Flecken, die es auf der Weste des Künstlers gibt. So unterzeichnete Gulbransson etwa 1933 neben anderen Prominenten den berüchtigten „Protest der Richard-Wagner-Stadt München“ gegen Thomas Mann. Was ihm zwar sofort furchtbare Gewissensbisse verursachte, da er mit den Manns ja befreundet war, aber der Versuch, die Unterschrift rückgängig zu machen, scheiterte. Fast möchte man frei nach Goethes „Faust“ anmerken, Gulbransson war „der Erste nicht“, dem dergleichen passierte; und der Letzte sowieso nicht. Wer wüsste das besser als wir Heutigen, die das sozialpsychologische Großexperiment Corona täglich lehrt, wozu Menschen unter sozialem Druck fähig sind.
Gerd Holzheimer:
„Olaf Gulbransson. Eine Biographie“. Allitera Verlag, München, 327 Seiten; 28 Euro.