23 mal 27 mal 2,8 Zentimeter und fast zwei Kilo schwer – man hat also an diesem Ausstellungskatalog echt zu schleppen. Dafür wird man belohnt mit einer Fülle von Zeichnungen, Fotos und Texten, die genau das beglaubigen, was der Titel verspricht: „Global Groove – Art, Dance, Performance & Protest“. Frei übersetzt: „Globales Schwingen zwischen den Künsten“.
Bei jedem erneuten Aufschlagen dieses wuchtigen Bandes taucht man ein in einen Kosmos, in dem der Tanz aus seiner ästhetisch erbauenden Form heraustritt und die bildende Kunst umarmt – und umgekehrt. Man erfährt so, wie aus gezielter Begegnung dieser beiden Ausdrucksformen eine ganz neue künstlerische Aussage entsteht.
Die US-amerikanische Tänzerin und Choreografin Loie Fuller verblüffte 1900 auf der Pariser Weltausstellung mit ihrem „Serpentinentanz“. Indem sie die an ihren verlängerten Armen angebrachten Stoffbahnen durch Bewegung in flatternd-wogend kreisende Schwingung versetzte und sie mit erstmals als Kunstmittel eingesetztem elektrischem Licht bunt beleuchtete, wandelte sich ihre tänzerische Aktion zur bewegten Skulptur.
Eine ähnliche Metamorphose, wenn auch mit schlichteren Mitteln erreicht: der „Hexentanz“ (1914/1926), eine mit starrer Gesichtsmaske in Sitzposition am Boden ausgeführte Choreografie der deutschen Ausdruckstanz-Koryphäe Mary Wigman. Umgekehrt scheint in Ernst Ludwig Kirchners Gemälde „Totentanz der Mary Wigman“ (1926-28) die enge Reihe der Tänzerinnen sanft zu schwingen. Die Schöpferin des US-Modern-Dance Martha Graham wird in ihrer Medea-Geschichte „Cave of the Heart“ (1946) von Isamu Noguchi eingesponnen in ein baumartiges Geflecht.
Für Merce Cunningham, Meister des US-Postmodern-Dance, verformte beziehungsweise skulpturalisierte die Designerin Rei Kawakubo (hierzulande bekannt durch ihre Modemarke „Comme des garçons“) 1997 die Tänzer durch farbig gestreifte, an verschiedenen Körperteilen sich bizarr verdickt wölbende Kostüme.
Schon Loie Fuller hatte mit japanischen Künstlern kooperiert. Bei uns war Mary Wigmans Dresdner Tanz-Schule ab den Dreißigerjahren Anlaufstelle für Studierende aus Japan. Durch den Wigman-Schüler Harald Kreutzberg auf Welt-Tournee, speziell auch durch Japan, wurde der junge Sportlehrer Kazuo Ohno (1906-2010) zum Butoh-Tanz inspiriert. In den Achtzigerjahren hat man ihn noch auf einem Münchner Theaterfestival erleben können. „Ankoku Butoh“, der „Tanz der Finsternis“, war der Aufbruch der japanischen Tanz-Tradition in die Moderne und zugleich eine Brücke zwischen Japan und Europa.
Alle diese Beispiele sind nur eine Kostprobe dieses wachen, neugierigen künstlerischen Austausches über Grenzen, Kontinente und politische Systeme hinweg. So wird das von Leonard und Dorothy Elmhirst in der südenglischen Grafschaft Devon gegründete interdisziplinäre Projekt „Dartington Hall“ zu einer künstlerischen Auffang- und Begegnungsstätte: auch für Kurt Jooss, Mitbegründer der Essener Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprechen und des experimentellen Folkwang Tanzstudios.
Nach seiner Flucht 1934 vor dem NS-Regime kann er mit seinem künstlerischen Partner Sigurd Leeder in Dartington Hall seine Tanzschule einrichten. Kurz darauf gibt es in dieser Kunst-Oase ein Gastspiel des indischen Choreografen Uday Shankar und seines Hindu-Balletts. Durch anschließende Tourneen wird Shankar als Pionier des modernen indischen Tanzes in Europa bekannt. „Global Groove“: ein großartiges, von vielen kundigen Autoren geschaffenes Buch, in dem auch Tanz- und Kulturexperten immer noch etwas Neues entdecken können.
Museum Folkwang (Hg.):
„Global Groove“. Hirmer Verlag, München, 384 Seiten; 45 Euro.