Pass(t)genau zum Schrei

von Redaktion

Münchner Unternehmen baut Rahmen für Edvard-Munch-Museum in Oslo

VON CORNELIA SCHRAMM

Werner Murrer strahlt. In seiner Werkstatt im Münchner Stadtteil Thalkirchen hebt er einen Edvard Munch auf die Staffelei. „Der Schrei“ machte den norwegischen Expressionisten nicht nur weltberühmt – das Bild hat auch schon so einiges mitgemacht. Im Jahr 2004 aus dem Munch-Museum in Oslo gestohlen, tauchte es 2006 wieder auf. Auf dem Schwarzmarkt wurden die Diebe es zum Glück nie los – es war zu bekannt. „Das ist natürlich nicht das Original“, sagt Murrer und lacht. „Sondern ein farbechter Nachdruck. In der linken Ecke erkennt man sogar den Wasserschaden, der bei dem Raub damals entstand.“

Mit der Kopie hat Murrer die vergangenen Jahre viel Zeit verbracht. Dabei ging es dem 62-Jährigen um das, womit sich Museumsbesucher oft gar nicht auseinandersetzen: den Rahmen. Welches Holz, welche Farben, welche Bauart passen zu Munch? Neben renommierten Rahmenbauern aus London, San Francisco, Oslo und Amsterdam hat sich der Münchner dann darum beworben, Munchs „Der Schrei“ (1910) neu fassen zu dürfen – sowie 500 weitere seiner Arbeiten.

„Mit dem Bau des neuen Munch-Museums sollten auch die wichtigsten Werke neu gerahmt werden. Den Osloern ist aufgefallen, dass die glänzenden Goldrahmen aus den Achtzigern gar nicht zu Munchs Arbeiten passen“, erklärt Murrer. Schlicht, so wie der Künstler selbst sie präferierte, sollten die Rahmen Murrers Vision nach sein. „Er hat sie teils selbst aus Holz gebaut und im Freien gelagert. Zu seiner rotzfrechen Malerei hätte doch kein biederer Goldrahmen gepasst.“

Von Munch und seinen Arbeiten gibt es viele Fotografien. Murrer und seinem Team aus Kunsthistorikern, Holzbildhauern, Schreinern und Vergoldern lieferten sie wichtige Hinweise, wie der Künstler seine Bilder gerahmt hätte. Bei ihren Recherchen fanden sie auch einen Brief. Darin stritt sich Munch mit seinem Galeristen und forderte: Weg mit Verzierungen, her mit schlichten Rahmen aus Holz!

Aber wie kriegt man den „Dreck der Jahrhunderte“ auf Rahmen, die erst vergangene Woche gebaut wurden? „Dafür verwenden wir Bister“, sagt Brian Auspitz, der in Murrers Werkstatt schon seit 30 Jahren und damit von Anfang an als Vergolder arbeitet. „Um Bister herzustellen, wird Buchenholz verbrannt. Der Ruß wird dann zu Pulver weiterverarbeitet“, erklärt er, während er die dunkle, wässrige Tinte auf einen Rahmen aus Nadelholz pinselt und mit einer Bürste einklopft. Davor hat er den Rahmen schon zig Male in der Hand gehabt, gebeizt und eingeölt.

„Er darf ja nicht langweilig aussehen“, sagt Auspitz und wischelt den Rahmen mit einem Schwämmchen auf und ab, als der Bister leicht angetrocknet ist. „Je gröber das Holz desto besser. So zeichnet sich die Maserung ab, und das wirkt lebendiger.“ Später trägt Auspitz Schellack auf. Als Schutz vor Feuchtigkeit. Zu stark glänzen darf der aber auch nicht, daher wird im nächsten Schritt wieder „reduziert“. Auftragen. Abtragen. Schicht um Schicht. Stunde um Stunde steht Auspitz dafür an der Werkbank. Einige Schritte bleiben streng geheim – bis der neue Rahmen für „Angst“ (1894), ein weiteres Munch-Bild, mindestens 100 Jahre älter aussieht.

Das radikale Umdenken der Münchner Rahmenbauer imponierte vor vier Jahren der Jury in Oslo so, dass sie den Zuschlag bekamen – drei Versionen von „Der Schrei“, „Der Kuss“, „Madonna“ und „Mädchen auf der Brücke“ und viele weitere Werke hängen schon neu gerahmt im neuen Munch-Museum. „Fünf Jahre haben wir recherchiert, gebaut und gestaltet, damit jedes Werk den passenden Rahmen erhält“, freut sich Murrer. Gar nicht „Der Schrei“ hat ihn am Ende am meisten bewegt, sondern „Pubertät“ (1894). „Das Gemälde hing bisher in einem schweren, dicken Goldrahmen im Nationalmuseum“, sagt er. „In unserem schmalen, weißen Holzrahmen wird das zierliche Mädchen endlich nicht mehr erdrückt. Das macht mich stolz.“

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